Das "Maiansingen"
der Burschenschaften in Heidelberg
Das Bild, das die
Stadt Heidelberg vor allem gegenüber TouristInnen gerne von sich zeichnet,
ist das einer idyllischen „Studentenstadt“. Hierzu gehören neben historischen
Lokalitäten wie dem Studentenkarzer auch die traditionellen Studentenverbindungen,
die gerade durch ihre Erscheinungsbild das Image von „Alt-Heidelberg, du
feine“ (traditionelles Studentenlied) repräsentieren.
So rechnet bspw.
die Heidelberger CDU das Maiansingen der Heidelberger Studentenverbindungen,
bei dem am Vorabend des 1. Mai rechte Burschenschaften ihre reaktionäre
Weltanschauung öffentlich zelebrierten, „zur Kultur dieser Universitätsstadt
[…] wie die Alte Brücke und das Schloss“. Dabei zogen Burschenschafter
in Couleur mit Fackeln und Degen durch die Heidelberger Innenstadt, um
gegen Mitternacht auf dem Marktplatz den Mai mit allerlei „volkstümlichem“
Liedgut zu begrüßen – wobei auch gern das „Deutschlandlied“
in allen drei Strophen („Deutschland, Deutschland über alles“ … „Von
der Maas bis an die Memel“) geschmettert wurde.
Pöbeleien,
Angriffe auf Andersdenkende und rassistische Übergriffe gehörten
ebenso zu diesem Abend wie Unterstützung aus der organisierten Neonazi-Szene.
Erst entschlossener
antifaschistischer Widerstand konnte in den letzten Jahren diesem reaktionären
Treiben ein Ende setzen.
Die Heidelberger
Burschenschaft "Normannia"
Als Beispiel für
eine Burschenschaft, die dem rechten Spektrum zuzurechnen ist, kann die
Heidelberger Burschenschaft „Normannia“ genannt werden. So waren Anfang
der 1990er Jahre Mitglieder der „Normannia“ am Versuch beteiligt, eine
rechtsextreme Hochschulgruppe mit dem Namen „Forum 90“ zu etablieren.
Im Jahr 2000 verteilten
Mitglieder der „Normannia“ in Couleur (mit Bändel und Käppi auf
dem Kopf) neonazistische Flugblätter in der Heidelberger FußgängerInnenzone,
in denen gegen das „jüdische Finanzkapital“ gehetzt wurde und deren
Inhalt der antisemitischen Nazi-Postille „Unabhängige Nachrichten“
(UN) entnommen war.
In letzter Zeit
ist besonders auffällig, dass die offen elitär auftretende Aktivitas
sich beim so genannten Heldengedenken auf dem Heidelberger Ehrenfriedhof
beteiligt. Hier wird alljährlich auf der von den Nazis errichteten
Gedenkstätte der „Opfer von Krieg und Gewalt“ (so die Inschrift der
im Nachhinein angebrachten Plakette) gedacht und durch diese Verallgemeinerung
die Täter und Opfer des faschistischen Terrors in einen Topf geworfen.
Dackelten die Normannen sonst immer eher verschämt dem offiziellen
Parteien-, Militär- und Veteranentross hinterher, reihten sie sich
im letzten Jahr zwischen CDU-Politikern sowie Vertretern von Bundeswehr
und US-Army ein, um ihren Kranz mit den anderen zusammen niederzulegen.
Die "Deutsche
Burschenschaft"
Die „Normannia“
ist ebenso wie die Heidelberger Burschenschaft „Franconia“ Mitglied des
burschenschaftlichen Dachverbandes „Deutsche Burschenschaft“ (DB). Zentrales
Ideologem in der DB ist der völkische Politik- und Staatsbegriff,
der auf der Idee einer von „fremden Blutbeimischungen“ gereinigten deutschen
Nation beruht. Des Weiteren werden neben einem kulturalistisch begründeten
Rassismus, der Betonung nationaler Identität, Geschichtsrevisionismus,
dem Schüren von Überfremdungsängsten und Polemiken gegen
die so genannte Umerziehung auch gebietsrevisionistische Forderungen von
wichtigen Teilen der DB formuliert bzw. haben weitestgehend in die verbandsoffizielle
Programmatik Eingang gefunden.
Auch innerhalb dieses
Dachverbandes lassen sich zahlreiche Verstrickungen mit neofaschistischen
Strukturen finden.
Dementsprechend
gehen die Aktivitäten der einzelnen Mitglieder in die gleiche Richtung.
Bekanntestes Beispiel für einen rechten burschenschaftlichen Hardliner
ist die Burschenschaft „Danubia“ München. Nach einem rassistischen
Überfall auf einen Griechen im Januar 2001 versteckte sie den gesuchten
Täter aus der neonazistischen Skinheadszene in ihren Räumlichkeiten.
"Burschenschaft
Arminia Zürich zu Heidelberg" - die „vergessene Ortsgruppe der NSDAP“
Als Bindeglied zwischen
Burschenschaften und organisierten Nazis fungiert die „Burschenschaft Arminia
Zürich zu Heidelberg“ (BAH). Die BAH – gegründet als „Europaburschenschaft
Arminia Zürich zu Heidelberg“ (EBA) - , die keinem traditionellen
verbindungsstudentischen Dachverband angehört wurde 1946 unter anderem
von NSDAP-Seilschaften gegründet und verlagerte 1994 ihren Schwerpunkt
nach Heidelberg. Prominente Mitglieder sind u.a. Manfred Roeder (NPD, verurteilter
Rechtsterrorist), Gerd Zikeli (Schweizer Revisionist, „Nationale Basis
Schweiz“) und als eine Art Ehrenmitglied der Nazi-Liedermacher Frank Rennicke
(NPD, ehemals „Wiking Jugend“).
Bei einer Hausdurchsuchung
des EBA-Farbenheims im Januar 1995 wurden umfangreiche NS-Literatur, SS-Fahnen,
Videokassetten des antisemitischen NS-Propagandafilms „Der ewige Jude“
sowie Bestell-Listen für Publikationen von Himmler und Heydrich gefunden.
Danach wurde es
zunächst ruhiger um die EBA bis sie sich 1999 als „Burschenschaft
Arminia Zürich“ wiedergründete (das „Europa“ wurde als nicht
deutsch genug aus dem Namen gestrichen).
Im Frühjahr
2001 folgte der Versuch, eine Veranstaltung mit dem Schweizer Revisionisten
Gert Zikeli im Raum Heidelberg durchzuführen, zu der u.a. über
das von der Karlsruher Kameradschaft betriebene „Nationale Infotelefon
Karlsruhe“ (NIT) mobilisiert wurde.
An diesem Tag versammelten
sich auf einer Gegenkundgebung, die von den Heidelberger Gruppen „Turn
left“ und AIHD organisiert worden war, ca. 150 Menschen auf dem Bismarckplatz.
Die Naziveranstaltung fand nicht statt.
"Gegen reaktionäre
Biedermänner …
Doch nicht nur die
Verstrickungen mit neofaschistischen Organisationen machen die Existenz
und die Umtriebe der Studentenverbindungen bekämpfenswert. Erklärtes
Ziel der Burschenschaften ist die Aufrechterhaltung einer nationalistischen,
bürgerlich-kapitalistischen Elite auf wirtschaftlicher, militärischer,
kultureller und gesellschaftlicher Ebene, wobei der Zugang zu diesen Schlüsselpositionen
durch die Mitgliedschaft in einer Verbindung ermöglicht wird.
Die Ideologie ist
geprägt von Nationalchauvinismus, zahlreichen militaristischen Elementen
und einem offen zur Schau getragenen patriarchalen Grundkonsens, der Frauen
eine passive Rolle als schmückende Stütze des Mannes zuschreibt.
Dieses Weltbild schließt einen weiten Personenkreis aus: in aller
Regel bleibt Frauen, „Nicht-Deutschen“ und Kriegsdienstverweigerern der
Zutritt zu den Korporationen verwehrt.
Eine hierarchisch-autoritär
aufgebaute Binnenstruktur, Uniformen und so genannte Mensuren (gemeint
sind Fechtkämpfe mit scharfen Waffen) zählen hingegen zum Standard
zahlreicher Verbindungen. Nach außen geben sich die Korporationen
gerne „unpolitisch“ oder schmücken sich mit dem Mythos „freiheitlicher“,
„demokratischer“ Ideale. Dieser Mythos beruht auf der offensichtlichen
Verdrehung historischer Tatsachen und verkennt nationalistische Kontinuitäten,
die seit der Deklaration einer absoluten Kaisertreue durch Burschenschaften
ab 1871 bestehen und auch über die NS-Zeit hinweg bis heute keine
Brüche aufweisen.
Die Korporationen
und besonders die Burschenschafter waren maßgeblich am wachsenden
antisemitischen Denken im 19. Jahrhundert beteiligt. Deutlich wurde dies
bspw. beim Wartburgfest 1817 in Eisenach, wo u.a. Bücher jüdischer
AutorInnen verbrannt wurden. Wenig verwunderlich ist es daher, dass Studentenverbindungen
zu den wichtigen Vorbereitern des Nationalsozialismus gehörten.
Auch heute wird
in Studentenverbindungen über das Erlernen der Anerkennung von Hierarchien,
das militaristische Männlichkeitsideal und durch den elitären
Anspruch ein autoritärer Charakter geformt, der rechtsextremem Denken
und Handeln Vorschub leistet.
„… und neofaschistische
Brandstifter!"
Doch nicht nur Studentenverbindungen
treiben in Heidelberg ihr Unwesen: In letzter Zeit sind vermehrt offene
Aktivitäten von Neonazis in Heidelberg und Umgebung zu beobachten,
die sich nicht nur auf das Kleben von neonazistischen Aufklebern und Plakaten
beschränken.
"Freie Strukturen"
Neben dem „JN-Stützpunkt
Rhein-Neckar“ sind besonders die Aktivitäten der so genannten freien
Kameradschaften für den Neofaschismus im Rhein-Neckar-Raum kennzeichnend.
Hier ist es, neben
der sehr aktiven „Karlsruher Kameradschaft“, besonders die „Kameradschaft
Bergstraße“, die in der Region zahlreiche Aktivitäten entfaltet:
Sie nimmt an fast allen wichtigeren Aktionen des neofaschistischen Spektrums
in der näheren und weiteren Umgebung sowie an Nazi-Demonstrationen
mit bundesweiter Bedeutung teil. Einer der Köpfe der „Kameradschaft
Bergstraße“ ist René Rodriguez-Teufer, ein Nazi-Aktivist,
der bereits seit Anfang der 1990er Jahre in der Rhein-Neckar-Region aktiv
ist und bundesweit über gute Kontakte zu bekannten Nazigrößen
verfügt.
Des Weiteren tritt
seit Januar 2002 eine Gruppierung unter dem Namen „Freie Nationalisten
Rhein-Neckar“ auf. Diese führte u.a. eine Gedenkveranstaltung für
den SS-Schergen Kurt Eggers durch.
Dass die „Freien
Nationalisten“ - namentlich „Karlsruher Kameradschaft“ und „Kameradschaft
Bergstraße“ - der Region zusammenarbeiten, zeigt sich z.B. an einer
von ihnen durchgeführten „Gedenkveranstaltung“ am 8. Mai 2002 auf
dem Heidelberger Ehrenfriedhof. Dort legten in einer Nacht- und Nebelaktion
26 schwarz uniformierte Nazis Kränze für die „gefallenen Helden“
nieder.
Anti-Antifa
Ein weiteres Aktionsfeld,
in dem sich besonders die Kameradschaften hervortun, ist das Sammeln von
Informationen über den „politischen Gegner“ („Anti-Antifa-Arbeit“),
was auch in konkreten Gewalthandlungen gegen diese Menschen münden
kann.
Bereits im Juni
2001 tauchten „Anti-Antifa“-Flugblätter in mehreren Heidelberger Stadtteilen
auf, die gegen das Autonome Zentrum (AZ) im Exil und die AIHD gerichtet
waren. Die MacherInnen dieses Flugblatts brachten zwei AZ-Aktivisten mit
Foto und vollem Namen in direkte Verbindung mit der AIHD.
Anlässlich
der VVN-Ausstellung „Neofaschismus in der BRD“, die im September 2002 in
Eppelheim Station machte, richteten Neonazis eine über einen US-Naziserver
geschaltete Homepage ein und outeten OrganisatorInnen der Veranstaltung
und vermeintliche AntifaschistInnen. Diese wurden zeitweise mit voller
Adresse und zum Teil mit Foto aufgeführt.
Antifaschistischer
Widerstand
Zwar gehören
in Heidelberg - verglichen mit anderen Regionen – Neonazis nicht zum typischen
Straßenbild, was nicht zuletzt mit der aktiven Antifa-Szene zusammenhängt.
Dennoch zeigen doch die neueren Aktivitäten, dass erhöhte Wachsamkeit
geboten ist, damit es ihnen nicht gelingt, in einem schleichenden, relativ
verborgenen Prozess die Straße bzw. die Öffentlichkeit für
sich zu erobern. Offene Versuche von Nazis in Heidelberg Präsenz zu
zeigen, konnten sowohl im Juli 1998 als auch im Oktober 2001 erfolgreich
verhindert werden.
Ein weiteres Beispiel
für erfolgreiche antifaschistische Aktionen ist der Widerstand gegen
das Maiansingen der Heidelberger Burschenschaften.
Gegen die Darstellung
der nationalistischen und frauenfeindlichen Ideologie in Form des Maiansingens
regte sich ein seit den 1980er Jahren permanent breiter und entschlossener
werdender antifaschistischer Widerstand, so dass der Fackelmarsch nur noch
unter erheblichen Polizeischutz möglich war und schließlich
aus der Innenstadt verlagert werden musste.
1997 gelang es erstmals,
das reaktionäre Burschentreiben zu verhindern, als sich nach einer
Demonstration des Antifa-AK an der Uni und der Autonomen Antifa Heidelberg
etwa 1000 AntifaschistInnen auf dem Marktplatz versammelten. Die Verbindungen
ließen sich – wie bereits vorher angekündigt – nicht blicken;
die ultrarechte „Normannia“ ließ es sich allerdings nicht nehmen,
auf den Schlossterrassen einen Fackelzug mit etwa 60 Teilnehmern durchzuführen.
Der 30. April
als antifaschistischer Aktionstag
Seither ist es immer
wieder gelungen, nicht nur die reaktionäre Tradition der Burschenschaften
zu brechen, sondern auch den dadurch frei gewordenen öffentliche Raum
mit linken und emanzipatorischen Inhalten zu besetzen, wie die gut besuchten
antifaschistischen Straßenfeste der letzten Jahre zeigen.
An diese Erfolge
wollen wir weiter anknüpfen und auch in Zukunft an diesem Abend einen
Antifaschistischen Aktionstag unter wechselnden Mottos durchführen.
Während in den letzten drei Jahren dabei die Zerstörung des Autonomen
Zentrums (AZ) und die Übereinkunft zwischen bürgerlicher Überwachungsgesellschaft
und autoritärem Sicherheitsstaat thematisiert wurden, wollen wir in
diesem Jahr das Zusammenspiel zwischen reaktionären Biedermännern
und neofaschistischen Brandstiftern angehen.
Neonazis und reaktionäre
Biedermänner
Antifaschismus bedeutet
für uns mehr als „nur“ Neonazis zu bekämpfen. Es geht auch darum,
die Bedingungen die Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus
hervorbringen zu bekämpfen und abzuschaffen. Diese Ressentiments ziehen
sich quer durch die Gesellschaft und stellen elementare Bestandteile der
Konstruktion von Gesellschaftlichkeit unter kapitalistischen Bedingungen
dar.
Die grundlegende
Verfassung der Gesellschaft äußert sich auf staatlicher Ebene
z.B. im institutionalisierten Rassismus. Ausdruck hiervon ist die Bewertung
von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit; als nicht
nützlich Befundene werden marginalisiert und im Falle von MigrantInnen
in Sammellagern untergebracht und von Abschiebung bedroht.
Antifaschistisch
aktiv zu sein heißt also nicht nur gegen FaschistInnen auf die Straße
zu gehen, sondern auch eine radikale Gesellschaftskritik zu entwickeln
und jenseits von Nationalstaaten, Ethnien, Religionen, Kulturen und Geschlechter
zu denken, also zu versuchen, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen
zu bringen.
Gegen reaktionäre
Biedermänner und neofaschistische Brandstifter!
Burschenschaften
abschaffen!
Zusammen kämpfen
– zusammen feiern!