Aufruf zum antifaschistischen Straßenfest 2003

Das "Maiansingen" der Burschenschaften in Heidelberg
Das Bild, das die Stadt Heidelberg vor allem gegenüber TouristInnen gerne von sich zeichnet, ist das einer idyllischen „Studentenstadt“. Hierzu gehören neben historischen Lokalitäten wie dem Studentenkarzer auch die traditionellen Studentenverbindungen, die gerade durch ihre Erscheinungsbild das Image von „Alt-Heidelberg, du feine“ (traditionelles Studentenlied) repräsentieren.
So rechnet bspw. die Heidelberger CDU das Maiansingen der Heidelberger Studentenverbindungen, bei dem am Vorabend des 1. Mai rechte Burschenschaften ihre reaktionäre Weltanschauung öffentlich zelebrierten, „zur Kultur dieser Universitätsstadt […] wie die Alte Brücke und das Schloss“. Dabei zogen Burschenschafter in Couleur mit Fackeln und Degen durch die Heidelberger Innenstadt, um gegen Mitternacht auf dem Marktplatz den Mai mit allerlei „volkstümlichem“ Liedgut zu begrüßen – wobei auch gern das „Deutschlandlied“ in allen drei Strophen („Deutschland, Deutschland über alles“ … „Von der Maas bis an die Memel“) geschmettert wurde.
Pöbeleien, Angriffe auf Andersdenkende und rassistische Übergriffe gehörten ebenso zu diesem Abend wie Unterstützung aus der organisierten Neonazi-Szene.
Erst entschlossener antifaschistischer Widerstand konnte in den letzten Jahren diesem reaktionären Treiben ein Ende setzen.

Die Heidelberger Burschenschaft "Normannia"
Als Beispiel für eine Burschenschaft, die dem rechten Spektrum zuzurechnen ist, kann die Heidelberger Burschenschaft „Normannia“ genannt werden. So waren Anfang der 1990er Jahre Mitglieder der „Normannia“ am Versuch beteiligt, eine rechtsextreme Hochschulgruppe mit dem Namen „Forum 90“ zu etablieren.
Im Jahr 2000 verteilten Mitglieder der „Normannia“ in Couleur (mit Bändel und Käppi auf dem Kopf) neonazistische Flugblätter in der Heidelberger FußgängerInnenzone, in denen gegen das „jüdische Finanzkapital“ gehetzt wurde und deren Inhalt der antisemitischen Nazi-Postille „Unabhängige Nachrichten“ (UN) entnommen war.
In letzter Zeit ist besonders auffällig, dass die offen elitär auftretende Aktivitas sich beim so genannten Heldengedenken auf dem Heidelberger Ehrenfriedhof beteiligt. Hier wird alljährlich auf der von den Nazis errichteten Gedenkstätte der „Opfer von Krieg und Gewalt“ (so die Inschrift der im Nachhinein angebrachten Plakette) gedacht und durch diese Verallgemeinerung die Täter und Opfer des faschistischen Terrors in einen Topf geworfen. Dackelten die Normannen sonst immer eher verschämt dem offiziellen Parteien-, Militär- und Veteranentross hinterher, reihten sie sich im letzten Jahr zwischen CDU-Politikern sowie Vertretern von Bundeswehr und US-Army ein, um ihren Kranz mit den anderen zusammen niederzulegen.

Die "Deutsche Burschenschaft"
Die „Normannia“ ist ebenso wie die Heidelberger Burschenschaft „Franconia“ Mitglied des burschenschaftlichen Dachverbandes „Deutsche Burschenschaft“ (DB). Zentrales Ideologem in der DB ist der völkische Politik- und Staatsbegriff, der auf der Idee einer von „fremden Blutbeimischungen“ gereinigten deutschen Nation beruht. Des Weiteren werden neben einem kulturalistisch begründeten Rassismus, der Betonung nationaler Identität, Geschichtsrevisionismus, dem Schüren von Überfremdungsängsten und Polemiken gegen die so genannte Umerziehung auch gebietsrevisionistische Forderungen von wichtigen Teilen der DB formuliert bzw. haben weitestgehend in die verbandsoffizielle Programmatik Eingang gefunden.
Auch innerhalb dieses Dachverbandes lassen sich zahlreiche Verstrickungen mit neofaschistischen Strukturen finden.
Dementsprechend gehen die Aktivitäten der einzelnen Mitglieder in die gleiche Richtung. Bekanntestes Beispiel für einen rechten burschenschaftlichen Hardliner ist die Burschenschaft „Danubia“ München. Nach einem rassistischen Überfall auf einen Griechen im Januar 2001 versteckte sie den gesuchten Täter aus der neonazistischen Skinheadszene in ihren Räumlichkeiten.

"Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg" - die „vergessene Ortsgruppe der NSDAP“
Als Bindeglied zwischen Burschenschaften und organisierten Nazis fungiert die „Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg“ (BAH). Die BAH – gegründet als „Europaburschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg“ (EBA) - , die keinem traditionellen verbindungsstudentischen Dachverband angehört wurde 1946 unter anderem von NSDAP-Seilschaften gegründet und verlagerte 1994 ihren Schwerpunkt nach Heidelberg. Prominente Mitglieder sind u.a. Manfred Roeder (NPD, verurteilter Rechtsterrorist), Gerd Zikeli (Schweizer Revisionist, „Nationale Basis Schweiz“) und als eine Art Ehrenmitglied der Nazi-Liedermacher Frank Rennicke (NPD, ehemals „Wiking Jugend“).
Bei einer Hausdurchsuchung des EBA-Farbenheims im Januar 1995 wurden umfangreiche NS-Literatur, SS-Fahnen, Videokassetten des antisemitischen NS-Propagandafilms „Der ewige Jude“ sowie Bestell-Listen für Publikationen von Himmler und Heydrich gefunden.
Danach wurde es zunächst ruhiger um die EBA bis sie sich 1999 als „Burschenschaft Arminia Zürich“ wiedergründete (das „Europa“ wurde als nicht deutsch genug aus dem Namen gestrichen).
Im Frühjahr 2001 folgte der Versuch, eine Veranstaltung mit dem Schweizer Revisionisten Gert Zikeli im Raum Heidelberg durchzuführen, zu der u.a. über das von der Karlsruher Kameradschaft betriebene „Nationale Infotelefon Karlsruhe“ (NIT) mobilisiert wurde.
An diesem Tag versammelten sich auf einer Gegenkundgebung, die von den Heidelberger Gruppen „Turn left“ und AIHD organisiert worden war, ca. 150 Menschen auf dem Bismarckplatz. Die Naziveranstaltung fand nicht statt.

"Gegen reaktionäre Biedermänner …
Doch nicht nur die Verstrickungen mit neofaschistischen Organisationen machen die Existenz und die Umtriebe der Studentenverbindungen bekämpfenswert. Erklärtes Ziel der Burschenschaften ist die Aufrechterhaltung einer nationalistischen, bürgerlich-kapitalistischen Elite auf wirtschaftlicher, militärischer, kultureller und gesellschaftlicher Ebene, wobei der Zugang zu diesen Schlüsselpositionen durch die Mitgliedschaft in einer Verbindung ermöglicht wird.
Die Ideologie ist geprägt von Nationalchauvinismus, zahlreichen militaristischen Elementen und einem offen zur Schau getragenen patriarchalen Grundkonsens, der Frauen eine passive Rolle als schmückende Stütze des Mannes zuschreibt. Dieses Weltbild schließt einen weiten Personenkreis aus: in aller Regel bleibt Frauen, „Nicht-Deutschen“ und Kriegsdienstverweigerern der Zutritt zu den Korporationen verwehrt.
Eine hierarchisch-autoritär aufgebaute Binnenstruktur, Uniformen und so genannte Mensuren (gemeint sind Fechtkämpfe mit scharfen Waffen) zählen hingegen zum Standard zahlreicher Verbindungen. Nach außen geben sich die Korporationen gerne „unpolitisch“ oder schmücken sich mit dem Mythos „freiheitlicher“, „demokratischer“ Ideale. Dieser Mythos beruht auf der offensichtlichen Verdrehung historischer Tatsachen und verkennt nationalistische Kontinuitäten, die seit der Deklaration einer absoluten Kaisertreue durch Burschenschaften ab 1871 bestehen und auch über die NS-Zeit hinweg bis heute keine Brüche aufweisen.
Die Korporationen und besonders die Burschenschafter waren maßgeblich am wachsenden antisemitischen Denken im 19. Jahrhundert beteiligt. Deutlich wurde dies bspw. beim Wartburgfest 1817 in Eisenach, wo u.a. Bücher jüdischer AutorInnen verbrannt wurden. Wenig verwunderlich ist es daher, dass Studentenverbindungen zu den wichtigen Vorbereitern des Nationalsozialismus gehörten.
Auch heute wird in Studentenverbindungen über das Erlernen der Anerkennung von Hierarchien, das militaristische Männlichkeitsideal und durch den elitären Anspruch ein autoritärer Charakter geformt, der rechtsextremem Denken und Handeln Vorschub leistet.

 „… und neofaschistische Brandstifter!"
Doch nicht nur Studentenverbindungen treiben in Heidelberg ihr Unwesen: In letzter Zeit sind vermehrt offene Aktivitäten von Neonazis in Heidelberg und Umgebung zu beobachten, die sich nicht nur auf das Kleben von neonazistischen Aufklebern und Plakaten beschränken.

"Freie Strukturen"
Neben dem „JN-Stützpunkt Rhein-Neckar“ sind besonders die Aktivitäten der so genannten freien Kameradschaften für den Neofaschismus im Rhein-Neckar-Raum kennzeichnend.
Hier ist es, neben der sehr aktiven „Karlsruher Kameradschaft“, besonders die „Kameradschaft Bergstraße“, die in der Region zahlreiche Aktivitäten entfaltet: Sie nimmt an fast allen wichtigeren Aktionen des neofaschistischen Spektrums in der näheren und weiteren Umgebung sowie an Nazi-Demonstrationen mit bundesweiter Bedeutung teil. Einer der Köpfe der „Kameradschaft Bergstraße“ ist René Rodriguez-Teufer, ein Nazi-Aktivist, der bereits seit Anfang der 1990er Jahre in der Rhein-Neckar-Region aktiv ist und bundesweit über gute Kontakte zu bekannten Nazigrößen verfügt.
Des Weiteren tritt seit Januar 2002 eine Gruppierung unter dem Namen „Freie Nationalisten Rhein-Neckar“ auf. Diese führte u.a. eine Gedenkveranstaltung für den SS-Schergen Kurt Eggers durch.
Dass die „Freien Nationalisten“ - namentlich „Karlsruher Kameradschaft“ und „Kameradschaft Bergstraße“ - der Region zusammenarbeiten, zeigt sich z.B. an einer von ihnen durchgeführten „Gedenkveranstaltung“ am 8. Mai 2002 auf dem Heidelberger Ehrenfriedhof. Dort legten in einer Nacht- und Nebelaktion 26 schwarz uniformierte Nazis Kränze für die „gefallenen Helden“ nieder.

Anti-Antifa
Ein weiteres Aktionsfeld, in dem sich besonders die Kameradschaften hervortun, ist das Sammeln von Informationen über den „politischen Gegner“ („Anti-Antifa-Arbeit“), was auch in konkreten Gewalthandlungen gegen diese Menschen münden kann.
Bereits im Juni 2001 tauchten „Anti-Antifa“-Flugblätter in mehreren Heidelberger Stadtteilen auf, die gegen das Autonome Zentrum (AZ) im Exil und die AIHD gerichtet waren. Die MacherInnen dieses Flugblatts brachten zwei AZ-Aktivisten mit Foto und vollem Namen in direkte Verbindung mit der AIHD.
Anlässlich der VVN-Ausstellung „Neofaschismus in der BRD“, die im September 2002 in Eppelheim Station machte, richteten Neonazis eine über einen US-Naziserver geschaltete Homepage ein und outeten OrganisatorInnen der Veranstaltung und vermeintliche AntifaschistInnen. Diese wurden zeitweise mit voller Adresse und zum Teil mit Foto aufgeführt.

Antifaschistischer Widerstand
Zwar gehören in Heidelberg - verglichen mit anderen Regionen – Neonazis nicht zum typischen Straßenbild, was nicht zuletzt mit der aktiven Antifa-Szene zusammenhängt. Dennoch zeigen doch die neueren Aktivitäten, dass erhöhte Wachsamkeit geboten ist, damit es ihnen nicht gelingt, in einem schleichenden, relativ verborgenen Prozess die Straße bzw. die Öffentlichkeit für sich zu erobern. Offene Versuche von Nazis in Heidelberg Präsenz zu zeigen, konnten sowohl im Juli 1998 als auch im Oktober 2001 erfolgreich verhindert werden.
Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche antifaschistische Aktionen ist der Widerstand gegen das Maiansingen der Heidelberger Burschenschaften.
Gegen die Darstellung der nationalistischen und frauenfeindlichen Ideologie in Form des Maiansingens regte sich ein seit den 1980er Jahren permanent breiter und entschlossener werdender antifaschistischer Widerstand, so dass der Fackelmarsch nur noch unter erheblichen Polizeischutz möglich war und schließlich aus der Innenstadt verlagert werden musste.
1997 gelang es erstmals, das reaktionäre Burschentreiben zu verhindern, als sich nach einer Demonstration des Antifa-AK an der Uni und der Autonomen Antifa Heidelberg etwa 1000 AntifaschistInnen auf dem Marktplatz versammelten. Die Verbindungen ließen sich – wie bereits vorher angekündigt – nicht blicken; die ultrarechte „Normannia“ ließ es sich allerdings nicht nehmen, auf den Schlossterrassen einen Fackelzug mit etwa 60 Teilnehmern durchzuführen.

Der 30. April als antifaschistischer Aktionstag
Seither ist es immer wieder gelungen, nicht nur die reaktionäre Tradition der Burschenschaften zu brechen, sondern auch den dadurch frei gewordenen öffentliche Raum mit linken und emanzipatorischen Inhalten zu besetzen, wie die gut besuchten antifaschistischen Straßenfeste der letzten Jahre zeigen.
An diese Erfolge wollen wir weiter anknüpfen und auch in Zukunft an diesem Abend einen Antifaschistischen Aktionstag unter wechselnden Mottos durchführen. Während in den letzten drei Jahren dabei die Zerstörung des Autonomen Zentrums (AZ) und die Übereinkunft zwischen bürgerlicher Überwachungsgesellschaft und autoritärem Sicherheitsstaat thematisiert wurden, wollen wir in diesem Jahr das Zusammenspiel zwischen reaktionären Biedermännern und neofaschistischen Brandstiftern angehen.

Neonazis und reaktionäre Biedermänner
Antifaschismus bedeutet für uns mehr als „nur“ Neonazis zu bekämpfen. Es geht auch darum, die Bedingungen die Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus hervorbringen zu bekämpfen und abzuschaffen. Diese Ressentiments ziehen sich quer durch die Gesellschaft und stellen elementare Bestandteile der Konstruktion von Gesellschaftlichkeit unter kapitalistischen Bedingungen dar.
Die grundlegende Verfassung der Gesellschaft äußert sich auf staatlicher Ebene z.B. im institutionalisierten Rassismus. Ausdruck hiervon ist die Bewertung von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit; als nicht nützlich Befundene werden marginalisiert und im Falle von MigrantInnen in Sammellagern untergebracht und von Abschiebung bedroht.
Antifaschistisch aktiv zu sein heißt also nicht nur gegen FaschistInnen auf die Straße zu gehen, sondern auch eine radikale Gesellschaftskritik zu entwickeln und jenseits von Nationalstaaten, Ethnien, Religionen, Kulturen und Geschlechter zu denken, also zu versuchen, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Gegen reaktionäre Biedermänner und neofaschistische Brandstifter!
Burschenschaften abschaffen!
Zusammen kämpfen – zusammen feiern!