20. Juli: Maßgeschneidertes Gedenken für die deutsche Nation

Am 20. Juli jährt sich das Attentat auf Hitler und der damit verbundene Putschversuch einer Gruppe von Wehrmachtsoffizieren zum 60. Mal und bereits weit im Vorfeld wurde die deutsche Bevölkerung publizistisch darauf eingestimmt, diesen Jahrestag als nationalen Gedenktag zu begreifen.
In der Person des Grafen von Stauffenberg, der im eigens produzierten Spielfilm das Musterbild des soldatischen Helden abgibt und noch im Tod den Hochruf auf das deutsche Vaterland auf den Lippen hat, soll der Widerstand gegen Hitler mustergültig repräsentiert werden. Die historische Wahrheit, dass die Verschwörer des 20. Juli alles Mögliche gewesen sein mögen, gewiss aber keine Antifaschisten, könnte angesichts solcher patriotischer Ergriffenheitsorgien nur stören.
Nicht umsonst konzentriert sich der Film auf wenige Stunden vor und nach der missglückten Himmelfahrt des Führers. Er käme sonst nicht umhin, einen Blick auf die Gedankenwelt und die bisherigen politischen und militärischen Taten der “Männer des Widerstandes” zu werfen.
Auf General Stülpnagel etwa, der ein Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht in Russland unterzeichnet hatte, in dem ein “vermehrter Kampf gegen das Judentum” gefordert wurde und der verlangte “bei Notwendigkeit raschen Zugriffs besonders (auf) die jüdischen Komsomolzen als Träger der Sabotage und Bandenbildung” zurückzugreifen.
Oder auf Arthur Nebe, seit 1931 SA-Mitglied, der als Chef des Amtes V des Reichskriminalpolizeiamtes verantwortlich für die Inhaftierung und Deportation tausender Sinti und Roma und als Leiter der Einsatzgruppe B an der Ostfront an der Ermordung von über 45000 Menschen beteiligt war.
Auf Goerdeler, der sich schon als Leipziger Oberbürgermeister 1934 in einer Denkschrift für eine “Konsolidierung der deutschen Rassepolitik” eingesetzt hatte.
Auf die Brüder Stauffenberg schließlich, die gegenüber dem Chef des SD (Sicherheitsdienst der SS), Ernst Kaltenbrunner, bekundeten “sie hätten die Rassengrundsätze des Nationalsozialismus an sich bejaht, hätten sie aber für überspitzt und übersteigert gehalten”.
Noch im Zuge ihrer Verschwörung diskutierten die Wehrmachtsoffiziere ihre eigene “Lösung der Judenfrage”, die die Ansiedlung der Jüdinnen und Juden in Kanada oder Südamerika vorsah.
Von ZeitgenossInnen wurde der Attentatsversuch denn auch sehr viel realistischer gesehen. So sprach Churchill in einer Erklärung im britischen Unterhaus von “Ausrottungskämpfen unter den Würdenträgern des Dritten Reiches” und der New Yorker “Aufbau” hoffte, “dass die gegenseitige Vernichtung von Junkern und Nazis den Weg zur wahren Vernichtung des deutschen Militarismus freimacht”.
Die 'Männer des 20. Juli' waren in ihrer überwiegenden Zahl Offiziere, die bedenkenlos Adolf Hitler den Eid geschworen hatten, die für ihren Führer einen Vernichtungskrieg gegen "jüdische und slawische Untermenschen" geführt hatten, bis sie bemerkten, dass der Krieg ihres Führers auf die Dauer nicht zu gewinnen war und die nun versuchten, die Interessen ihrer Klasse und ihrer militärischen Kaste über den Untergang des 'Tausendjährigen Reiches' hinauszuretten.
Das war das tatsächliche Profil des “Widerstand”, das konträr zu dem Bild steht, das die Deutschen sich 60 Jahre nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus konstruieren. Kaum Erwähnung im heutigen Diskurs finden die KommunistInnen und Sozialistinnen, die bereits  seit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten Widerstand geleistet hatten und die diesen Widerstand mit ihrem Leben, mit KZ-Haft und Exil bezahlt hatten. Auch die wenigen ChristInnen, die der industriellen Massenvernichtung von Juden, Sinti und Roma, Behinderten und psychisch Kranken nicht schweigend zusehen mochten, haben keine Chance, als repräsentativ für den Widerstand angesehen zu werden. Erst recht nicht die Jüdinnen und Juden, die im Untergrund und in Partisanenorganisationen bewaffnet gegen die Nazis kämpften.
Es geht nicht darum, die Attentäter des 20. Juli pauschal zu denunzieren. Unter ihnen mag es den ein oder anderen gegeben haben, der aus einer  Gewissensentscheidung heraus gehandelt hat.
Allerdings bleibt zu konstatieren, dass die politischen Vorstellungen der Verschwörer wenig mit Demokratie und Freiheit, dafür eine Menge mit Militarismus, Obrigkeitsstaat, Rassismus und Antisemitismus zu tun hatten. Wes Geistes Kind die Putschisten waren, bewies noch vor zehn Jahren ein Angehöriger der Familie Stauffenberg, der drohte, die Gedenkfeierlichkeiten zu boykottieren, wenn dort die “Patrioten des 20. Juli mit Landesverrätern (gemeint waren SozialistInnen und KommunistInnen – aihd) auf eine Stufe gestellt “ würden.
Mit dem Gedenken an die Attentäter vom 20. Juli wird der Versuch unternommen, das Bild einer “anständigen und sauberen”, letzten Endes doch ihrem Gewissen verpflichteten Wehrmacht zu zeichnen. Dieser Mythos war durch die Dokumente der Wehrmachtsausstellung beinahe in Gefahr geraten, unglaubwürdig zu werden.
Die Fixierung auf den 20. Juli  - verbunden mit der Ignorierung oder der Denunziation tatsächlichen antifaschistischen Widerstands - dient den Deutschen dazu, moralisch unbelastete Anknüpfungspunkte an die herrschenden Eliten der NS-Zeit zu finden in einer Situation, in der Deutschland als weltweit militärisch operierende Großmacht zurück auf die Bühne der Weltgeschichte tritt.

Gegen die Verklärung der „Attentäter des 20. Juli“!
Geschichtsklitterung und nationale Mythen bekämpfen!
 

AIHD, 20. Juli 2004