Redebeitrag der AIHD
auf der Berufsverbotsdemo am 23.10.2004 in Heidelberg

Die Kriminalisierung von Antifagruppen gehört in Deutschland zum Standardrepertoire staatlicher Repression. Hier ist vor allem die Konstruktion solcher Gruppen als kriminelle oder terroristische Vereinigungen hervorzuheben. Dadurch erhoffen sich die Behörden, einen Einblick in linksradikale Strukturen zu bekommen und diese zu destabilisieren. Diese Politik der Einschüchterung und Bespitzelung soll die Freiräume zerstören, die für erfolgreichen politischen Widerstand noch vorhanden und notwendig sind. Demselben Zweck dient das Berufsverbot gegen Micha - ein jetzt erst wieder aus der Mottenkiste der Repressionsstrategien gekramtes Mittel.

In einer Zeit, in der die NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen über 9 % erreichen kann und in der Rhein-Neckar-Region fast im 2-Wochen-Takt Naziaufmärsche stattfinden, tritt der heuchlerische Charakter der bürgerlichen Gesellschaft deutlich zu Tage. Einerseits echauffiert sich die Öffentlichkeit über den steigenden Rechtstrend, andererseits wird ein konsequenter Antifaschismus verschmäht. Egal ob in Form von Aufklärung oder direkter Gegenwehr - die Prämisse von Tucholsky: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!" muss für jeden geschichtsbewussten Menschen uneingeschränkte Verpflichtung sein. Denn Faschisten lassen sich nicht, wie das oftmals behauptet wird, durch „runde Tische“ oder akzeptierende Jugendarbeit bekämpfen, sondern nur mittels offener Konfrontation!
Beispiele dafür sind die in den letzten Jahren erfolgreich verhinderten Neonaziaufmärsche in Heidelberg. Ausschlaggebend für die Verhinderung waren im Jahr 2001 nicht die Partei- oder GewerkschaftsfunktionärInnen, die damals durch eine Kundgebung in der Heidelberger Innenstadt der Konfrontation mit den Faschisten aus dem Weg gingen. Vielmehr waren es AntifaschistInnen aus der ganzen Region, die die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht scheuten, sondern sich offen gegen sie stellten. Erst im Jahr 2003 fand sich ein breites Bündnis gegen den erneuten Versuch eines rechten Aufmarsches zusammen. Mit der gleichen Konsequenz, mit der wir uns damals den Nazis entgegenstellten, müssen wir auch gegen das Berufsverbot angehen!
Angesichts dessen, wie marginal die radikale Linke in der heutigen BRD ist und wie weit entfernt sie von einer emanzipatorischen Gesellschaft ist, scheint es grotesk, in welchem Ausmaß der Staat auf Einzelne mit Repressalien reagiert. Oft bauen Verfahren gegen AntifaschistInnen nur auf den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auf, wie es auch bei Micha der Fall ist. Dieser Inlandsgeheimdienst ist eine wichtige Institution des bürgerlich-kapitalistischen Systems. So werden zum Beispiel Menschen aus der linksradikalen Bewegung vom Verfassungsschutz bis in die intimsten Bereiche hinein beobachtet.
Der Kampf des Geheimdienstes gegen den so genannten Linksextremismus wird dadurch erleichtert, dass er auf breite Ressentiments in der deutschen Gesellschaft zurückgreifen kann. Schon seit jeher gibt es in Deutschland einen florierenden Antikommunismus. Während sich die Bedrohungsszenarien früher auf den „real existierenden Sozialismus“ konzentrierten, gibt es heute - abgesehen vom Islamismus - kaum noch offene Projektionsflächen. Auf der verzweifelten Suche nach einem geeigneten Feindbild wurde nun Micha auserkoren. Allerdings ist auch in bürgerlichen Kreisen Solidarität mit Micha vorhanden. Diese Solidarität läuft jedoch Gefahr, bei einem vermeintlichen Fehltritt des Betroffenen oder seines Umfelds entzogen zu werden.

Es greift zu kurz, sich gegen Berufsverbote zu stellen, ohne eine Kritik an Staaten als Herrschaftsverhältnisse zu artikulieren. Der Staat an sich ist einer der Gründe für die Ungleichheit der Menschen und nicht der Garant für Humanität. Die Forderung nach Aufhebung des Berufsverbots beinhaltet auch den Aspekt eines tendenziell angenehmeren Lebens im Hier und Jetzt. Konsequente Kritik sollte jedoch die Ursachen der staatlichen Repressionsmaßnahmen im Auge behalten: Sie muss deshalb die Abschaffung des bürgerlich-kapitalistischen Staats - und nicht dessen Modifikation - verlangen.
In den herrschenden Verhältnissen ist der Wunsch, dass Micha Lehrer werden darf, erst einmal ganz banal. Er beruht auf der Auffassung, dass jede Person im Kapitalismus selbst entscheiden können sollte, welchen Beruf sie ausübt. Schließlich wird das tägliche Aufstehen und Malochen durch die eigene Wahl des Berufes ein wenig erträglicher.
Die Forderung nach freier Berufswahl darf aber nicht eine Kritik an Arbeit, an deren Glorifizierung und an der damit verbundenen Verwertung des Menschen vernachlässigen. Das Privileg der freien Berufswahl ist lediglich das Privileg, sich die unstressigste Ausbeutungsanstalt auszusuchen.

Gerade in Zeiten der Repression gegen die radikale Linke müssen wir uns einen Aphorismus von Adorno ins Bewusstsein rufen:
„Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen."

Weg mit den Berufsverboten!
Der staatlichen Repression entschlossen entgegentreten!
Antifaschismus ist legitim und notwendig!