Antisemitismus bekämpfen!

Für heute, Donnerstag, den 27. Januar 2005, 16.00 Uhr, hat der Kreisverbandsvorsitzende der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, Stefan Wollenschläger, eine Kundgebung zum so genannten Bomben-Holocaust bei der Stadt Heidelberg angemeldet. Diese soll auf dem Heidelberger Kornmarkt vor dem Prinz-Carl-Palais in der Altstadt stattfinden. Zum Vorbereitungsgespräch mit dem Heidelberger Ordnungsamt war der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende und notorische Auschwitz-Leugner Günter Deckert denn höchstpersönlich erschienen. Die Anmeldung der NPD am 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz stellt eine ungeheuere Provokation und eine Verhöhnung aller Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft dar.
Der NPD-Kreisverband Rhein-Neckar mit seinen Protagonisten Stefan Wollenschläger, Helmut Braun und Günter Deckert stellt sich somit in eine Reihe mit der Landtagsfraktion der NPD in Sachsen, die bereits am Freitag vergangener Woche für einen Eklat sorgte, indem sie geschlossen das Länderparlament verließ, als der Opfer des NS-Regimes gedacht werden sollte. Die Protagonisten der NPD im Landtag in Sachsen scheuten sich darüber hinaus nicht davor, über einen „Bomben-Holocaust von Dresden“ zu schwadronieren. Mit dieser begrifflichen Umbesetzung des Wortes Holocaust, das die millionenfache Ermordung der europäischen Juden beschreibt, versuchen die Rechten eine Umkehrung von Tätern des nationalsozialistischen Massenmordes zu Opfern eines alliierten „Bombenterrors“ zu vollziehen.

Diese Universalisierung des Holocaust, die eine von den Rechten zunehmend benutzte Taktik zur Schuldabwehr darstellt, soll den von den Deutschen begangenen Zivilisationsbruch Auschwitz aus seinem historischen Kontext und der damit verknüpften Frage nach Ursache und Schuld lösen. Dadurch soll die deutsche Geschichte von dem Schandfleck der „Endlösung der Judenfrage“ reingewaschen werden. Dies dient den Rechten letztlich dazu, sich ungeniert positiv auf Deutschland und auch auf die nationalsozialistische Vergangenheit beziehen zu können.
Dass es 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz rechtsextremen Parteien möglich ist, durch derlei Universalisierung des singulären Verbrechens der Shoah oder durch die Verkehrung von Tätern in Opfer einen sekundären Antisemitismus in die Öffentlichkeit zu tragen, der die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ein weiteres Mal verhöhnt, spricht deutlich gegen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den beiden deutschen Republiken nach 1945. Es ist grundsätzlich in beiden Staaten ausgeblieben, ein politisches und kulturelles Klima zu schaffen, das nach Adorno „eine Wiederholung nicht zulässt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewusst werden“ (T.W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz). Wurde der Antisemitismus in der politischen Kultur nach dem Nationalsozialismus zwar tabuisiert, so wurde sich eben auch nicht mit ihm auseinandergesetzt. Der Holocaust wurde vergangenheitspolitisch abgespalten und hat damit die gesamtgesellschaftliche Tendenz zur Verweigerung der Vergangenheitsarbeit begünstigt. Daraus resultierte auch der Ruf nach einem „Schlußstrich“ in der deutschen Tätergesellschaft.
Der sekundäre Antisemitismus, der einen Antisemitismus nicht nur trotz, sondern gerade wegen des Holocaust darstellt, ist damit in Deutschland eine weit verbreitete Abwehrreaktionen gegen die eigene Vergangenheit des Massenmords. Die Aussage Zwi Rix’, eines jüdischen Arztes, bringt diesen neuen Antisemitismus auf den Punkt: „Auschwitz werden uns die Deutschen nie verzeihen!“. Er ist im Kern der Wunsch, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu vergessen. Er äußert sich durch Abwehr der Erinnerung an diese Vergangenheit. Oder er verdrängt und leugnet. Oder er relativiert durch Vergleiche des historisch einmaligen Holocaust mit anderen Sachverhalten.
Solcherlei Argumentationen sind nicht nur auf wenige rechtsextreme „Wirrköpfe“ beschränkt, sondern auch in der gesellschaftlichen Mitte anzutreffen. Ein heiß diskutiertes Beispiel lieferte der CDU-Bundestagsabgeordnete Hohmann mit seiner Rede im Oktober 2003, in der er Juden als ein „Tätervolk“ bezeichnete. Dieser Aussage, die nur wieder dem Wunsch nach Nivellierung deutscher Verbrechen entspringt, stimmte daraufhin auch Brigadegeneral Reinhard Günzel (Kommandeur der Kommando-Spezial-Kräfte) zu. Die antisemitische Rede Hohmanns wiederum verteilte die Heidelberger Burschenschaft Normannia „Im Wortlaut“ vor der Uni in der Altstadt. Offener Bezug auf antisemitische Verschwörungstheorien gehört sowieso zum Repertoire der Normannia, was spätestens seit ihrer Flugblattaktion vom März 2000 deutlich sein dürfte, bei der ein der neonazistischen Zeitung „Unabhängige Nachrichten“ entnommener antisemitischer Text in der Heidelberger FußgängerInnenzone verteilt wurde. Dass sie ein Bindeglied zwischen rechtsoffenem Konservatismus und Neofaschismus ist, zeigte die Burschenschaft, als sie im Juli 2004 ein Tagesseminar zum Thema „Deutschland in der Globalisierungsfalle?!“ in Heidelberg auf ihrem Haus plante, bei dem unter anderen auch ehemalige Mitglieder der NPD als Referenten geladen waren.
Die Gefahr des sekundären Antisemitismus liegt auch in der engen Verquickung mit dem ursprünglichen, primären Antisemitismus, der im deutschen Faschismus zu 6 Millionen ermordeten Juden führte. Deshalb konstatiert Adorno: „wer heute noch sagt, es sei nicht so oder nicht ganz so schlimm gewesen, der verteidigt bereits, was geschah, und wäre fraglos bereit zuzusehen oder mitzutun, wenn es wieder geschieht.“ (T.W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz)
Lassen wir dies nicht zu!

Gegen jeden Antisemitismus!
Deutschland denken heißt Auschwitz denken!

AIHD, 27.01.2005