Schaffen wir zwei, drei, viele Autonome Zentren!
9. Antifaschistisches Straßenfest in Heidelberg

Warum gerade der 30. April?
Jedes Jahr zogen in der Nacht des 30. April Heidelberger Burschenschaften mit Fackeln und Degen durch die Heidelberger Altstadt, um gegen Mitternacht auf dem Marktplatz den Mai mit allerlei volkstümlichem Liedgut zu begrüßen. Hierbei stand auch immer das Absingen des „Deutschlandliedes“ in allen drei Strophen auf dem Programm. Pöbeleien, Angriffe auf Andersdenkende und rassistische Übergriffe gehörten ebenso zu diesem Abend wie Besuche aus der organisierten Neonaziszene. Grund genug, gegen diese öffentliche Darstellung nationalistischer und frauenfeindlicher Ideologie vorzugehen: So formierte sich seit den 1980er Jahren ein erfolgreicher antifaschistischer Widerstand, dem es 1997 erstmals gelang, die grölenden Burschenschafter vom Marktplatz fern zu halten.

Das Antifaschistische Straßenfest
Seither wird versucht, den frei gewordenen öffentlichen Raum mit linken emanzipatorischen Inhalten zu füllen. Deshalb findet seit 1998 jedes Jahr am 30. April das Antifaschistische Straßenfest mit Infoständen linker Gruppen, Redebeiträgen und Live-Musik auf dem Universitätsplatz statt. Zu den Schwerpunktthemen gehörten bisher Innere Sicherheit, „Die Übereinkunft zwischen bürgerlicher Überwachungsgesellschaft und autoritärem Sicherheitsstaat“, „Das Zusammenspiel zwischen reaktionären Biedermännern und neofaschistischen Brandstiftern“ sowie der deutsche Geschichtsrevisionismus. Das 9. Antifaschistische Straßenfest am 30.04.2006 wird unter dem Motto „Schaffen wir zwei, drei, viele Autonome Zentren!“ stehen. Dementsprechend werden linke selbstverwaltete Projekte und ihre derzeitige Situation in den Fokus gerückt.

Der politische Anspruch von Selbstverwaltung
Selbstverwaltung bedeutet für uns gemeinschaftliches selbstorganisiertes und selbstverantwortliches Planen, Vorbereiten und Durchführen unterschiedlichster Aktivitäten. Merkmale, die sich in einer von Konsum und Vereinzelung gekennzeichneten Gesellschaft zunehmend in ihrer Bedeutung wandeln: So wird beispielsweise versucht, im Zuge der so genannten neoliberalen Umstrukturierung des nationalstaatlichen Gefüges immer mehr Verantwortung auf die Einzelnen abzuwälzen und soziale Sicherungssysteme und Bindungen zu kappen. Demgegenüber steht unser Verständnis von Selbstverwaltung nicht für einen flexibilisierten Lebensstil, der die Verwertung der Arbeitskraft unter immer prekäreren Bedingungen ermöglichen soll, sondern betont die Wichtigkeit gemeinschaftlichen Handelns. Hierbei soll aber nicht, wie im völkischen Sinne, die oder der Einzelne in der Gemeinschaft aufgehen und sich den etablierten Hierarchien und Zwängen unterordnen; stattdessen streben wir eine Organisationsform an, in der die Individuen dazu angehalten sind, sich und ihr Tun selbst zu reflektieren und dafür einzustehen. Der eigenen Freiheit und Möglichkeit zur Selbstentfaltung soll dabei möglichst viel Raum gelassen werden, wobei nicht vergessen werden darf, dass die eigene Freiheit da endet, wo die Freiheit der anderen beginnt beziehungsweise verletzt oder beeinträchtigt wird. Der in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft forcierten, von Apathie gekennzeichneten Konsumhaltung wollen wir dadurch begegnen, dass wir die Fähigkeiten, uns unseren eigenen Kopf zu machen und die Dinge selber in die Hand zu nehmen, in den Vordergrund rücken. Insgesamt soll die Möglichkeit geschaffen werden, die im Kapitalismus vorherrschenden Vergesellschaftungsweisen und Sachzwänge in Frage zu stellen sowie Alternativen denk-, erfahr- und erlebbar zu machen.
Dies alles ist für uns unweigerlich mit einem politischen Anspruch verbunden: Denn nur in einem Raum jenseits von sexistischen, rassistischen und nationalistischen Zwängen ist gewährleistet, dass alle die Chance haben, sich gemäß ihrer Bedürfnisse frei zu entfalten. Hierbei soll das in der kapitalistisch verfassten Gesellschaft allgegenwärtige Konkurrenzprinzip der Leistungs- und Ellenbogengesellschaft durchbrochen werden. Stattdessen wollen wir gemeinsam mit gegenseitiger Rücksichtnahme an den unterschiedlichsten Projekten arbeiten. Dazu brauchen wir keine Chefs oder Hierarchien; vielmehr sollen alle die gleichen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben.

Wozu ein Autonomes Zentrum in Heidelberg?
Um unsere Ideen voranzubringen, benötigen wir Räumlichkeiten, in denen wir unter den genannten Prämissen unser Leben gestalten und Widerstand organisieren können. Ein solches Zentrum liegt jenseits von Kulturangeboten, die mitunter die Selbstverwaltung als Gestaltungsprinzip übernommen haben, sich aber nur mit konsumorientierter Freizeitorganisation beschäftigen. Auch Politikformen und -ansätze, denen in der Mainstreamgesellschaft wenig bis gar kein Platz eingeräumt wird, können hier ebenso Raum finden wie marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Außerdem organisiert sich gerade in linken, selbstverwalteten Zentren der Widerstand gegen neonazistische Umtriebe und gegen die Etablierung einer rechten Jugendsubkultur. Durch die antifaschistische, antisexistische, antirassistische und antinationalistische Ausrichtung solcher Treffpunkte wird ein Zusammenleben in gegenseitiger Anerkennung vermittelt und auch praktisch erlebbar gemacht. Und das nicht in von Sozialarbeitern verordneten Spielchen oder Lektüren, sondern durch die direkte Erfahrung, welche die Beteiligten durch selbstverantwortliches und selbstständiges Organisieren und Bewerkstelligen machen.
Schlussendlich können wir nur so die herrschenden Verhältnisse überwinden und zu einem menschenwürdigen Dasein gelangen!

(Über)regionale Beispiele
Beispiele für solche Zentren gibt es genug, und sie werden mit ihrem offensiv vertretenen Ziel der politischen Selbstverwaltung als Bedrohung für die kapitalistische Gesellschaft wahrgenommen. So wird immer wieder versucht, die Zentren zu schließen beziehungsweise ihre Entstehung von vorneherein unmöglich zu machen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit haben wir ein paar Projekte aus dem süddeutschen Raum ausgesucht, an denen sich Entstehung, Bedrohung und mehr oder weniger erfolgreiche Verteidigung exemplarisch aufzeigen lassen. Da die Darstellung auf diese Punkte beschränkt bleibt, seid ihr aufgefordert, euch über Selbstverständnis, Praxis, genauere Situation und Ähnliches auf den jeweiligen Homepages selbst zu informieren. Sicherlich gehören auch andere Formen alternativer Lebensweisen wie z. B. Wagenburgen in diesen Themenbereich; aus Platzgründen haben wir uns allerdings auf das Zentrenkonzept beschränkt.

JuZ Mannheim
Hervorgegangen ist das „Jugendzentrum in Selbstverwaltung Friedrich Dürr“ aus den Auseinandersetzungen im Jahre 1972, als das „Domizil“ als letzter Jugendtreff in der Mannheimer Innenstadt geschlossen und die Forderung nach einem Jugendzentrum in Selbstverwaltung laut wurde. Am 1. Mai 1973 gelang es den AktivistInnen, nach zähen Verhandlungen und vielen kreativen Aktionen in den Räumen des ehemaligen Gewerkschaftshauses O4, 8 das JuZ zu eröffnen. Benannt ist es nach dem Mannheimer Maschinenschlosser Friedrich Dürr, der im 3. Reich Widerstand gegen die Nazis geleistet hatte. „Nicht etwa, um einen Helden zu ehren, sondern in dem Bewusstsein, dass der Kampf gegen die Kräfte der Reaktion fortgeführt werden muss“, wie es in einer PE von damals heißt. Anfang 1990 verkaufte die Stadt das Gebäude O4, 8 an die Kaufhauskette „Engelhorn & Sturm“, worauf das JuZ zwangsweise in einen ehemaligen Supermarkt am Neuen Messplatz in der Mannheimer Neckarstadt umziehen musste. Hier wurde am 31.12.1994 nach dreimonatiger Umbauphase die Eröffnungsparty gefeiert. Seitdem sieht sich das JuZ immer wieder mit Unterstützungskürzungen durch die Stadt konfrontiert, die die Existenz des selbstverwalteten Jugendzentrums gefährden.
www.juz-mannheim.de

KTS Freiburg
Als Reaktion auf den Abriss eines 1994 besetzen Hauses wurde bald darauf ein weiteres Gebäude auf dem Freiburger Vauban-Gelände kollektiviert: „Haus 34“. Dieses neue AZ erhielt in Anspielung auf das in der Bahnhofsachse geplante Konzerthaus (damaliger Arbeitstitel: Kultur- und Tagungsstätte KTS) den Namen „KTS - Kulturtreff in Selbstverwaltung“. Die KTS-Bewegung erkämpfte sich dreieinhalb Jahre in Haus 34, das allerdings der Erweiterung des neuen „Modell-Stadtteils“ Vauban im Wege war. Aufgrund des Räumungsdrucks der Stadt ging die KTS auf Verhandlungen um ein neues, diesmal legales Haus ein und verließ im Oktober 1997 „freiwillig“ Haus 34. Ein bereits seit längerer Zeit nur noch teilgenutztes Betriebswerk der Deutschen Bahn in der Baslerstraße 103 wurde von der Stadt angemietet und der KTS zur Verfügung gestellt. Die Stadt gewährte einen Zuschuss für Teile der Umbaumaßnahmen, die sich bis in den Herbst 1998 erstreckten. Unter teilweise schwierigen Bedingungen, mit viel Engagement und Tatkraft konnte die neue KTS soweit für den Betrieb fertig gestellt werden. Zum zehnjährigen Bestehen versuchte die Deutsche Bahn 2004 der KTS zu kündigen, was allerdings durch massiven Widerstand verhindert werden konnte.
www.kts-freiburg.org

OBW 9 Stuttgart
Das OBW9 war ein autonomes soziales und politisches Zentrum in Stuttgart-Degerloch, das seit mehr als 30 Jahren existierte. Am 9. Juni 2005 erging der finale Beschluss des Gemeinderates, den Trägerverein des OBW9 aus dem Gebäude an der Oberen Weinsteige 9 herauszuwerfen, um dieses für zwei Millionen Euro an eine Sanierungsfirma abzugeben. Das ließen sich die meist jugendlichen NutzerInnen nicht bieten und wurden somit zum 16. Juni 2005 zu HausbesetzerInnen gemacht, streng bewacht von einer Hundertschaft Polizeibeamter. Am 27.07.2005 wurde das OBW 9 von einem martialischen Polizeiaufgebot geräumt. Seitdem kämpfen die SympathisantInnen zusammen mit AnwohnerInnen und UnterstützerInnen um Ersatz, was von Seiten der Polizei regelmäßig mit massiver Repression und Gewalt beantwortet wird.
www.obw9.de

Oetinger Villa Darmstadt
Die Räumlichkeiten der ehemaligen „Freiherrlichen Residenz“ Oetinger Villa teilen sich seit über 15 Jahren ein städtisches Jugendhaus und das selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentrum, das von der Stadt finanziell unterstützt wird. Am 11. Mai 2005 beschloss der Magistrat der Stadt Darmstadt, dem Verein JuKuZ Oetinger Villa zu kündigen, um damit dem Deutschen Polen-Institut (DPI) ein repräsentatives Gebäude zu erschließen. Darauf reagierten NutzerInnen und SympathisantInnen mit einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Aktionen. Derzeit sieht es so aus, als ob der neue Oberbürgermeister Walter Hofmann dem DPI ein geeigneteres Ersatzobjekt überlassen will und das JuKuz in der Kranichsteinerstraße weitermachen kann.
www.oetingervilla.de

Ex-Steffi Karlsruhe
Hervorgegangen ist die Ex-Steffi aus der Steffi, einem besetzten Haus in der Karlsruher Stephanienstraße, das damals zwangsweise verlassen werden musste. Neue Räume für ihr Projekt fand ein Teil der BesetzerInnen damals in der ehemaligen Bahnkantine in der Schwarzwaldstr. 79 hinter dem Karlsruher Hauptbahnhof. Die Stadt versucht bereits seit Jahren die Vermarktung des Geländes Hauptbahnhof-Süd gegen die Ex-Steffi auszuspielen: Die BewohnerInnen sollten das Haus räumen, obwohl nach wie vor keine konkreten Investoren für den auf dem Gelände geplanten Timepark, eine Melange aus modernen Bürogebäuden und Einkaufsmöglichkeiten, in Sicht sind. 2004 konnte die Räumung nur noch durch einen gerichtlichen Vergleich abgewendet werden, der den BewohnerInnen erlaubte, bis Ende Januar 2006 in dem Gebäude zu bleiben, das dann besenrein übergeben und abgerissen werden sollte. Um dies doch noch zu verhindern, wurde auf unterschiedlichste Weise in die Öffentlichkeit gegangen, u. a. mit einer Reihe von Aktionstagen im Februar bzw. März 2006. Außerdem bemühten sich die BewohnerInnen zusammen mit anderen Initiativen und dem Freiburger Mietshäusersyndikat um den Kauf eines Geländes in der Kussmaulstraße in der Karlsruher Weststadt, um dort ein Ersatzprojekt entstehen zu lassen. Trotz der nachhaltig demonstrierten Verhandlungsbereitschaft wurde die Ex-Steffi am 06. April 2006 brutal geräumt und das Gebäude sofort unbewohnbar gemacht.
www.exsteffi.de

Autonomes Zentrum Heidelberg
Nach mehreren Hausbesetzungen in und um Heidelberg konnte Anfang 1991 in einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Gebäude in der Alten Bergheimerstraße 7a das Autonome Zentrum eröffnet werden. Es folgten acht Jahre erfolgreicher Betrieb, wobei spätestens seit 1996 die Stadt immer wieder versuchte, dem TrägerInnenverein die Räumlichkeiten zu kündigen. Trotz massenhaften Widerstands gegen die Räumung, die dadurch drei Jahre lang hinausgezögert werden konnte, rückten am 01.02.1999 die Bagger an und zerstörten das Gebäude. Seitdem befindet sich die linksradikale Bewegung im Kampf um ein neues Autonomes Zentrum.
www.autonomes-zentrum.org
 

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD), 18.04.2006