Antifaschistisches Straßenfest in Heidelberg am 30.04.2008
Selbstverwaltete Freiräume erkämpfen!

Seit den 1990er Jahren gehen die Regierungen und Stadtverwaltungen mit wachsenden und immer stärker aufeinander abgestimmten Repressalien gegen linke Freiräume vor und verdrängen oder zerschlagen seit vielen Jahren bestehende selbstverwaltete Wohn- und Kulturprojekte. Diese zentrenfeindliche Politik wird jedoch nicht ohne weiteres hingenommen, sondern ruft immer wieder auch überregional koordinierte Proteste hervor.
Deshalb finden am 11., 12. und 13.04.2008 überall in Europa - auch hier in Heidelberg und in Mannheim - Demonstrationen, Kundgebungen, direkte Aktionen, Informationsveranstaltungen, Straßenfeste und Hausbesetzungen statt, um linke Freiräume und antikapitalistische Gegenkultur aufzubauen und zu verteidigen. Auch unser traditionelles antifaschistisches Straßenfest am 30.04.2008 ist dieses Jahr ein Aktionstag für selbstverwaltete Freiräume und hat das Motto „Unsere Selbstverwaltung gegen ihre Repression!“. An diesem Tag wollen wir den Universitätsplatz Heidelberg in einen temporären autonomen Ort verwandeln und uns damit den Raum nehmen, der uns sowieso zusteht. Und den wir brauchen, um emanzipatorische Politik vorantreiben und grundsätzliche Gesellschaftskritik entwickeln zu können. Den wir brauchen, um kontinuierlich daran arbeiten zu können, die herrschenden Machtverhältnisse, die geltenden Normen und die Art des Zusammenlebens zu verändern.

Wir sind überall! Für den Aufbau und die Verteidigung selbstverwalteter Freiräume!
Die in den letzten Jahren zu beobachtenden staatlichen Attacken auf lange bestehende autonome Zentren in Kopenhagen („Ungdomshuset“), Berlin („Rigaer Straße“), Wien („EKH“), Dijon („Les Tanneries“), Amsterdam (besetztes Sozialzentrum), Karlsruhe („Ex-Steffi“) oder Thessaloniki („Ifanet“) haben gezeigt, dass über nationalstaatliche Grenzen hinweg Widerstand geleistet werden muss von Menschen, die sich jenen Raum nehmen, der ihnen gehört. Raum, in dem das an den staatstragenden Sicherheitsdiskurs gekoppelte Konzept der „sauberen Dienstleistungsstädte“ massenhaft durchbrochen werden kann. Raum, der oftmals als Bedrohung für die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft wahrgenommen wird, die sich die Herrschaft darüber nicht nehmen lassen will. Eben weil es Raum ist, in dem auf allen Ebenen Selbstverwaltung verwirklicht werden kann.

Was aber bedeutet Selbstverwaltung in einem emanzipatorischen Sinne?
Selbstverwaltung bedeutet zunächst einmal gemeinschaftliches selbstorganisiertes und selbstverantwortliches Planen, Vorbereiten und Durchführen unterschiedlichster Aktivitäten, die sich inmitten einer von Konsum und Vereinzelung gekennzeichneten Gesellschaft entfalten. Beispielsweise in einem dauerhaft bestehenden und fest lokalisierbaren Zentrum, in dem es mehrere größere Veranstaltungsräume für Parties, Theateraufführungen, Informationsabende und Möglichkeiten zum gemeinsamen Kochen gibt.
Selbstverwaltung steht jedoch keinesfalls für ein flexibilisiertes Gesellschaftsmodell, in dem die Verwertung der Arbeitskraft unter immer prekäreren Bedingungen ermöglicht, im Zuge der so genannten neoliberalen Umstrukturierung des nationalstaatlichen Gefüges immer mehr Verantwortung auf die Individuen abgewälzt und soziale Sicherungssysteme und Bindungen gekappt werden sollen, sondern betont die Wichtigkeit kollektivistischen, egalitären, transparenten Agierens. Hierbei soll aber nicht, wie im völkischen Sinne, die oder der Einzelne in einer wie auch immer definierten beziehungsweise konstruierten Gemeinschaft „aufgehen“ und sich den etablierten Hierarchien und sozialisierten Zwängen unterordnen; stattdessen wird eine Organisationsform angestrebt, in der die Individuen dazu angehalten sind, sich und ihr Tun zu reflektieren und dafür einzustehen. Der eigenen Freiheit und Möglichkeit zur Selbstentfaltung soll dabei möglichst viel Raum gelassen werden, wobei selbstverständlich nicht vergessen werden darf, dass die eigene Freiheit dort endet, wo die Freiheit der anderen beginnt.
Am Besten zur Entfaltung bringen lässt sich dieser Ansatz von Selbstverwaltung immer noch in einem auf die Bedürfnisse der AktivistInnen zugeschnittenen Zentrum, auch wenn die darin konkretisierten Ansprüche, also etwa Basisdemokratie, Emanzipation, Herrschaftsfreiheit oder Konsensentscheidungsfindungsprinzip, durchaus Eingang in die Lebensalltagsgestaltung aller daran beteiligten Personen finden sollten - unabhängig davon, wo sie sich gerade aufhalten.

Das räumliche Durchbrechen der konsumorientierten Dienstleistungsgesellschaft
In linken Zentren soll der in der bürgerlichen Gesellschaft forcierten, von Apathie gekennzeichneten und zur primären Identitätsstiftung erhobenen Konsumhaltung dadurch begegnet werden, dass die im Kapitalismus dominierenden Vergesellschaftungsweisen und Sachzwänge permanent in Frage gestellt sowie Alternativen denk-, erfahr- und erlebbar gemacht werden. Es soll also darum gehen, das in den kapitalistisch verfassten Wettbewerbsstaaten omnipräsente Konkurrenzprinzip der Leistungs- und Ellenbogengesellschaft räumlich zu durchbrechen und gemeinsam und unter gegenseitiger Rücksichtnahme an den unterschiedlichsten Projekten zu arbeiten, die wiederum in das soziale Gefüge „hineinwirken“. Dabei sollen die Möglichkeiten des Experimentierens, Herausforderns und Reflektierens stets mit der Fähigkeit zu Kritik, Problematisierung und Konflikt verbunden sein. Dies alles steht unweigerlich im Kontext eines universellen politischen Anspruchs: Denn nur in einem Raum jenseits von sexistischen, rassistischen und nationalistischen Zwängen ist gewährleistet, dass alle die Chance haben, sich gemäß ihrer Bedürfnisse frei zu entfalten.
Ein selbstverwaltetes Zentrum liegt also jenseits von Kulturangeboten, die mitunter die Selbstverwaltung als Gestaltungsprinzip übernommen haben, sich aber dennoch fast ausschließlich mit konsumorientierter Freizeitorganisation beschäftigen. Auch Politikansätze, die sich in der Mainstreamgesellschaft kaum entwickeln können, finden hier ebenso Platz wie marginalisierte Bevölkerungsgruppen.
Außerdem organisiert sich gerade in linken, selbstverwalteten Zentren der Widerstand gegen neonazistische Umtriebe und gegen die Etablierung einer rechten Jugendsubkultur. Durch die antifaschistische, antisexistische, antirassistische und antinationalistische Ausrichtung solcher Treffpunkte wird ein Zusammenleben in gegenseitiger Anerkennung vermittelt. Und das nicht in von SozialarbeiterInnen verordneten Spielchen, sondern durch die direkte Erfahrung, die die Beteiligten durch selbstverantwortliches und selbstständiges Organisieren und Bewerkstelligen machen.
Ein unabhängiges soziales Zentrum ist auch ein politischer Treffpunkt für eine Vielzahl antifaschistischer, antirassistischer oder antisexistischer Gruppen. Von ihm ausgehend wird kollektiver Widerstand geleistet gegen den Versuch, die jeweiligen Städte in noch größerem Rahmen kapitalistischen Vermarktungsstrategien unterzuordnen und sie auf diesem Wege in riesige „Sicherheitszonen“ zu verwandeln. Von hier aus kann mensch aktiv werden gegen großstädtische Ausgrenzungsmethoden, Privatisierungsmodelle und Sicherheitswahn. Solche Zentren können flächendeckende Raumverbote für marginalisierte Gruppen durchbrechen, die rigorose Verdrängung der verschiedenen „Submilieus“ aus den Innenstadtbereichen zurückdrängen und die an Wettbewerbsfähigkeit orientierte Fragmentierung und Verinselung städtischer Räume verhindern.

Zentrenfeindliche Politik in Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe
Die Politik der unterschiedlichen Stadtverwaltungen gegen autonome Zentren oder Initiativen, die sich dafür einsetzen, trägt stets die selben Grundzüge und muss auf der Metaebene im Kontext des Konstrukts der „Inneren Sicherheit“ betrachtet werden, das z. B. mit kommunalen „Gegen Schmutz und Schmierereien“ - Kampagnen vorangetrieben wird (wie hier in Heidelberg). Damit soll ein Stadtbild gewährleistet werden, das frei von störenden Einflüssen durch nicht-verwertbare Bevölkerungsgruppen ist, zu denen beispielsweise MigrantInnen, Obdachlose, Junkies und Punks gezählt werden. Ergänzung findet die Politik der „Zero Tolerance“, die sich in verschärften Polizeiverordnungen niederschlägt, in elektronisch gestützten Ausgrenzungstaktiken. Dass die Überwachung öffentlicher Räume keineswegs einen Rückgang dessen mit sich bringt, was die Herrschenden und ihre veröffentlichte Meinung „Kriminalität“ nennen, sondern höchstens eine Verlagerung, ist längst allen, die es wissen wollen, bekannt. Tatsächlich wird die immer ausgedehntere Observation der Öffentlichkeit hauptsächlich zur Verfolgung von Bagatelldelikten und zur Erstellung von Bewegungsprofilen unliebsamer Personen benutzt. Dieses Vorgehen wird durch Extrembeispiele wie sexuelle Gewalt gegen Kinder und durch konstruierte Bilder der „organisierten Kriminalität“ gerechtfertigt, die von PolitikerInnen, Presse und Polizei herangezogen werden, um die im kapitalistischen Akkumulationsregime bereits vorhandenen Bedrohungsszenarien dramatisierend zu ergänzen. Über gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen die so genannten „Anderen“ soll staatliche Überwachung als Teil einer integrierenden „corporate identity“-Strategie eine Symbiose mit dem Denunziationswillen eines Großteils der jeweiligen Bevölkerung eingehen. Primäres Ziel dieser Politik ist also keinesfalls die (massenmedial inszenierte) Kriminalitätsreduktion, sondern soziale Exklusion. Im Vordergrund stehen also ökonomische und kulturelle Ausgrenzung und damit die Stigmatisierung von Personen beispielsweise aufgrund ihres Verhaltens, ihrer Hautfarbe/Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer fehlenden Kaufkraft, ihrer sexuellen Orientierung.
Eingebettet werden diese übergreifenden Disziplinierungsmaßnahmen in das Idealbild der europäischen Städte des 21. Jahrhunderts, denen folgende, von horizontaler und sozialräumlicher Ungleichheit geprägte Struktur übergestülpt werden soll: Da ist zum einen die international wettbewerbsfähige Stadt mit luxuriösem Wohnen, aufwändigen Freizeit- und Kultureinrichtungen, Flughäfen usw. Dann ist da zum anderen die Versorgungs- und Wohnstadt der so genannten Mittelschicht. Und schließlich gibt es noch die marginalisierte Stadt der Randgruppen, der Ausgegrenzten, der dauerhaft Arbeitslosen, der MigrantInnen, der Drogenabhängigen, der „verwahrlosten“ Obdachlosen und der Armen, also der ökonomisch benachteiligten, fremden, als gefährlich stigmatisierten, visuell auffälligen Personen.

Heidelberg, Karlsruhe und Mannheim sind Beispiele für Orte, an denen funktionierende selbstverwaltete Zentren als räumlich fixierbare Produkte langjähriger sozialer Kämpfe existierten - mitten in der Stadt: In unmittelbarer Nähe zur Hauptstraße (Autonomes Zentrum Heidelberg), direkt hinter dem Hauptbahnhof (Ex-Steffi Karlsruhe) oder in den innerstädtischen Konsummeile-Quadraten (JuZ O4, 8 Mannheim). In diesen Freiräumen wurden schon allein durch ihre innerstädtischen Lagen offensiv Alternativen zum herrschenden Konsumterror umgesetzt und dabei jene Ausgrenzungsmechanismen sabotiert, die ein Ziel des urbanen Maßnahmenkatalogs darstellen. Als Ausgangspunkte radikaler linker Politik konnten emanzipatorische Ansätze direkt in die Zentren sozialer Auseinandersetzungen getragen werden: immer wieder gingen von dort spontane Aktionen aus, um den reaktionären Konsens der Mehrheitsgesellschaft zu stören. Nun befinden sich an diesen Orten Einkaufsmeilen oder Eigentumswohnungen, was auf den ersten Blick wie ein endgültiger Sieg der herrschenden Verhältnisse über selbstverwaltete Strukturen wirken mag.
Aber so ist es nicht: es wird weiterhin Menschen geben, die für Freiräume kämpfen und der kapitalistischen Verwertungslogik solidarisches Miteinander entgegensetzen.

Zeigen wir den Stadtverwaltungen, den privaten Sicherheitsdiensten und dem herrschenden System, dass wir die fortschreitende Beschneidung elementarer Rechte und die damit einhergehende Verschärfung von staatlicher Repression und gesellschaftlicher Überwachung nicht kampflos hinnehmen werden!
Lasst uns Treffpunkte aufbauen, in denen das Eintreten für selbstbestimmtes, emanzipatorisches Leben möglich ist. Orte, an denen wir uns frei von sozialarbeiterischer Kontrolle, städtischer Einflussnahme, parteiförmiger Bevormundung und finanzieller Abhängigkeit in größeren Gruppen treffen, austauschen und zu Aktionen verabreden können. Orte, die als Ausgangspunkte für antifaschistische Aktivitäten und als Gegengewicht zu einer rechten Subkultur dienen. Orte, an denen die notwendigen strukturellen Grundlagen für eine erfolgreiche linksradikale Bewegung existieren können.
Wir werden uns den Raum nehmen, zu leben, zu diskutieren, zu reden, grundsätzliche Gesellschaftskritik zu entwickeln und zu feiern, wann, wo und mit wem wir wollen; ganz gleich, ob das den kapitalistischen VerwertungsstrategInnen und konservativen SicherheitsfanatikerInnen passt oder nicht!

Selbst bestimmen, selbst verwalten …
Linke Freiräume erkämpfen und verteidigen!
Für politisch-kulturelle Gegenentwürfe zu den herrschenden Verhältnissen!

Kommt zum antifaschistischen Straßenfest nach Heidelberg!
 

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD), Anfang April 2008