Liebe FreundInnen, liebe GenossInnen,

im Namen der Roten Hilfe begrüße ich euch auf dieser Demonstration gegen Repression und Polizeigewalt.
Ihr habt soeben in Kurzform die Auflagen vorgelesen bekommen, unter denen diese Demonstration gnädigerweise stattfinden darf.
Wären die unterzeichnenden Beamten ein wenig offener gewesen, hätten sie den Katalog gleich „Maßnahmen zur Verhinderung des Demonstrationsrechts“ nennen können. Er dient nämlich der Polizei dazu, unliebsamen Protest mundtot zu machen und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Für diejenigen, denen es beim Verlesen der Auflagen angesichts des einschläfernden Amtsdeutsches nicht gelungen ist, wach zu bleiben, möchte ich nur einige wenige Punkte des Auflagenkataloges einmal ins Deutsche übersetzen und ihre praktischen Konsequenzen darstellen.
Auflagen sind – das gerät immer mehr in Vergessenheit – sind überhaupt nur zulässig, wenn eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von der Polizei nicht nur irgendwie vermutet, sondern konkret nachgewiesen wird. Ich bin gespannt, wie Ordnungsamt und Polizei eine solche völlig aus der Luft gegriffene Gefährdungslage rechtfertigen wollen. Nun aber zu einigen der absurden Auflagen im Detail.
Da wäre zunächst einmal die Demonstrationsroute. Nach dem Willen von Ordnungsamt und Polizei ist es uns weder erlaubt, in die Innenstadt zu gehen, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, noch dürfen wir unseren Protest an den Ort tragen, wo er hingehört, nämlich vor die Polizeiwache, in der am ersten Mai DemonstrantInnen Schikanen und entwürdigender Behandlung ausgesetzt waren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist aber keineswegs nur das Recht, fernab von jedem Publikum sich gegenseitig seine Meinung zu versichern, die man ohnehin teilt. Es wird vielmehr erst dort verwirklicht, wo unbequeme Wahrheiten an die Öffentlichkeit getragen werden dürfen und es beinhaltet das Recht, auch ganz direkt dort zu protestieren, wo Unrecht geschieht.
Des weiteren ist in den Auflagen festgelegt, dass Lautsprecher nur in Richtung der Kundgebungsteilnehmer gerichtet werden dürfen, und auch dies nur, wenn mehr als hundert Personen teilnehmen. Auch hier wird wieder der Zweck einer Demonstration ad absurdum geführt. Eine Kundgebung dient eben nicht dazu, sich innerhalb einer Gruppe Gleichgesinnter zu verständigen, sondern eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die Auflagen des Ordnungsamtes dienen dazu, genau dies zu verhindern.
Die Zeit, die für Kundgebungen zur Verfügung steht, ist von Seiten des Ordnungsamtes rigide eingeschränkt worden. Um es einmal ganz klar und deutlich zu sagen: Was und wie viel wir auf unserer Demonstration zu sagen haben und wie lange das dauert, hat das Ordnungsamt nicht zu interessieren! Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, das nicht nach dem Gutdünken deutscher Beamter in Häppchen gnadenhalber zugeteilt wird.
Völlig absurd wird es, wenn die Polizei sich anmaßt, Kleidungsordnungen für uns festzulegen. So heißt es in den Auflagen, das Tragen von Sonnenbrillen sei in Verbindung mit sonstigen Gegenständen (z.B. Sonnenbrille, Mütze, Schal) nicht zulässig. Ganz abgesehen von der Frage, wie es möglich sein soll, zwei Sonnenbrillen gleichzeitig zu tragen, muss ich mich also offensichtlich entscheiden, ob meine Netzhaut Schaden nimmt, oder ob ich lieber einen Sonnenbrand bekomme. Aber auch für schlechtes Wetter haben unsere Ordnungshüter vorgesorgt: Das Mitführen von Regenschirmen ist ebenfalls verboten. Ebenfalls das Tragen von Nietenarmbändern und Gürteln, wie sie in jedem Kaufhaus als Modeaccessoire erhältlich sind. Ich warte mit Spannung auf eine Verordnung der Polizei, die DemonstrationsteilnehmerInnen vorschreibt, als schwarz-rot-goldene Gartenzwerge verkleidet aufzumarschieren oder sich gleich nackt auszuziehen, wofür die Polizei in Neustadt ja eine Vorliebe zu haben scheint.
Ordner, so die Anordnung der Behörde, haben sich nicht nur eine Stunde vorher in unbegrenzter Zahl einzufinden, die der Anmelder vorher unmöglich wissen kann, nämlich einer pro 25 TeilnehmerInnen. Damit nicht genug: Die OrdnerInnen müssen bei der Polizei ihre Personalien abliefern. Das Recht zu demonstrieren – das haben auch die Kontrollen heute im Vorfeld gezeigt – wird erkauft durch die Pflicht, sich polizeilich erfassen zu lassen. Darüber hinaus dürfen OrdnerInnen bei der Demonstration keine anderen Funktionen wie zum Beispiel Flugblattverteilen wahrnehmen. Ob ich, indem ich hier rede, bereits gegen die Auflagen der Polizei verstoße, ist durchaus nicht geklärt. Das ist wahrlich eine Karikatur des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Für all diese Fürsorglichkeiten des Ordnungsamtes soll schließlich auch noch eine Verwaltungsgebühr bezahlt werden. Im Klartext: Für die Ausübung eines grundgesetzlich verbrieften Bürgerrechts muss man in diesem Bundesland Geld bezahlen! Demokratie gegen Cash! Zu guter Letzt wird noch auf eine Passage des Versammlungsrechts hingewiesen, nach der Polizisten – auch in Zivil – ein angemessener Platz in der Versammlung eingeräumt werden muss. Um wenigstens in diesem, Punkt die Anordnungen der Polizei zu unterstützen: Sollten sich Spitzel des Dezernats Staatsschutz in der Demonstration befinden, bitte ich euch ausdrücklich, ihnen einen Platz zuzuweisen, der ihnen angemessen ist.
Die Rote Hilfe wird alles dafür tun, dass dieser Auflagenkatalog vor Gericht als das deklariert wird, was er ist: Eine groteske Aushebelung des Rechts auf Versammlungsfreiheit.
Ordnungsamt und Polizei haben sich auch heute wieder alle Mühe gegeben, zu zeigen, wie notwendig und berechtigt unsere Demonstration gegen Repression und Polizeischikanen ist. Bei den antifaschistischen Protesten am 1. Mai 2008 in Neustadt zeigten die Repressionsorgane wieder einmal unverblümt ihr wahres Gesicht. Mit einem martialischen Polizeiaufgebot und brutalem Vorgehen gegen die DemonstrantInnen, die sich dem Aufmarsch der Neonazis in den Weg stellten, sollte das Recht auf linken Protest in enge Grenzen verwiesen werden.
Akribische Vorkontrollen, willkürliche Festnahmen unter fadenscheinigen Vorwänden und gezielte Demütigungen im Gewahrsam scheinen inzwischen zum staatlichen Standardrepertoire bei Demonstrationen zu gehören. In Neustadt setzten die Einsatzkräfte diesen erschreckenderweise zur Normalität gewordenen Regelbrüchen und Grundrechtsverletzungen aber die Krone auf, indem sie jugendliche Antifaschistinnen ohne Angabe von Gründen in Gewahrsam nahmen und sie mehrfach zwangen, sich auf dem Polizeirevier vollständig zu entkleiden. Im Verhör wurden die besonderen Rechte von Minderjährigen ebenso missachtet wie die grundlegenden Rechte aller Festgenommenen. Erst bei der Entlassung aus dem Gewahrsam wurde den minderjährigen Frauen der Vorwand mitgeteilt, unter dem die Repressionsmaßnahmen vorgenommen worden waren: sie seien vermummt gewesen – wofür es allerdings kein Beweismaterial gibt. In der Presse erklärte Polizeipräsident Wolfgang Fromm dieser Tage das Verhalten der Beamten mit ihrem Stress. Diese Bemerkung ist ebenso deutlich wie bemerkenswert: Stehen Polizisten unter Stress, so muss man das wohl verstehen, dann ist es offensichtlich nicht mehr weit her mit Recht und Gesetz und sie greifen zu gezielten Demütigungen und Entwürdigungen Minderjähriger. Offensichtlich weiß Polizeipräsident Fromm, wovon er redet.
Die gezielte Repression gegen die antifaschistischen Proteste am 1. Mai in Neustadt reiht sich ein in eine lange Serie staatlicher Schikanen gegen linke Proteste, durch die Widerstand mundtot gemacht und die AktivistInnen eingeschüchtert werden sollen. Von den international kritisierten Menschenrechtsverletzungen und Grundrechtseinschränkungen rund um den G8-Gipfel über die willkürlichen 129a-Verfahren, die nur der Durchleuchtung und Kriminalisierung der Szene dienen und selbst von Gerichten als haltlos abgewatscht werden, bis hin zu den ständigen Verschärfungen des Demonstrationsrechts und der Ausweitung polizeilicher Befugnisse reicht das Repertoire, mit dem der Staat emanzipatorische Bewegungen und Aktionen zu bekämpfen versucht.
Einen nicht zu unterschätzenden Bereich der Repression stellen die Beschränkungen im Versammlungsrecht dar, bei denen verschiedene Institutionen zusammenarbeiten, um ein klassisches Mittel linker Politik, den Protest auf der Straße, fast unmöglich zu machen.
Offensichtlich ist den Damen und Herren nicht bewusst, dass Demokratie und Demonstration nicht umsonst den selben Wortstamm haben. Wir erleben heute wieder ein Paradebeispiel für diese Politik der antidemokratischen Repression. Sind die AnmelderInnen nicht bereit, sich an dieser Farce in vollem Umfang zu beteiligen, drohen ihnen enorme Geldstrafen. Dass dabei sogar der Vorstrafenbereich erreicht werden kann, zeigt das aktuelle Verfahren gegen den Anmelder einer Antirepressionsdemo in Karlsruhe, das am kommenden Montag, also am 2. Juni, vor dem Amtsgericht Karlsruhe verhandelt wird.
Sollten AnmelderInnen und TeilnehmerInnen sich durch diese drohenden Maßnahmen seitens Stadtverwaltungen und Justiz noch immer nicht von ihrem legitimen Recht auf Widerstand abschrecken lassen, sorgt die Polizei immer häufiger durch martialisches Auftreten dafür, dass die Demonstrationen durch einen Wanderkessel , die so genannte einschließende Begleitung, wie ein Gefangenentransport wirken und das eigentliche politische Anliegen hinter einer Mauer von Robocops verschwindet. Brutale Übergriffe und willkürliche Festnahmen wie nun wieder am 1. Mai sollen den linken Protest vollends brechen. Doch dieses Kalkül der staatlichen Repressionsorgane wird nicht aufgehen. Wir werden weiterhin unseren Protest auch auf die Straße tragen und unser Recht zu demonstrieren, wann und wo wir wollen, verteidigen.

Wir lassen uns weder einschüchtern noch mundtot machen.
In diesem Sinne: Vorwärts und nicht vergessen, worin unsre Stärke besteht ...
Gemeinsam gegen Polizeigewalt und den Abbau von Grundrechten!
 

Rote Hilfe e.V. - OG Heidelberg, 31. Mai 2008