Es gibt kein ruhiges Hinterland!
Kein Fußbreit den Faschisten – in Sinsheim und anderswo!

Aufruf der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD)
zur Demonstration am 19.09.2009 in Sinsheim

Die Situation in Sinsheim und Umgebung
Seit mehreren Monaten häufen sich die Aktivitäten von Nazis im Kraichgau. Neben unzähligen Aufklebern von NPD und so genannten Autonomen Nationalisten nehmen auch Sprühereien sowie die Verteilung von Flyern und Flugblättern rechter Gruppierungen zu.
Vor allem im Umfeld von Spielen des Fußballclubs TSG 1899 Hoffenheim werden vermehrt Nazi-Aufkleber festgestellt, und die Bedrohungen durch Nazis und rechts orientierte Hooligans haben ein bisher nicht da gewesenes Ausmaß erreicht.
Die direkte Bedrohung von Obdachlosen, Punks und Menschen, welche von Nazis als „links“ identifiziert werden, unterstreichen in den letzten Wochen und Monaten eine neue Qualität rechter Straßenpräsenz in Sinsheim und Umgebung.
Dass es nicht bei Pöbeleien und Propagandaaktionen bleibt, zeigte sich in Sinsheim schon einmal: In der Nacht vom 17. auf den 18. November 2004 warfen Unbekannte einen Molotow-Cocktail gegen die Tür einer Moschee in Sinsheim. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen gerieten auch in der Region wohnhafte Nazis ins Visier der Behörden - unter anderen Michael Schill aus Sinsheim-Hoffenheim (siehe unten) und Mitglieder der Kraichgauer Skinhead-Gruppierung „Sturm Baden“. Die Tat wurde bisher nicht aufgeklärt.
Auch Organisierte aus der extremen Rechten sehen in der Region zunehmend ein lukratives Betätigungsfeld, haben sie bisher doch kaum mit antifaschistischer Gegenwehr oder Repression von Seiten der Behörden zu rechnen.
Jüngstes Beispiel für die Aktivitäten organisierter Nazis im Kraichgau war eine Demonstration für die Todesstrafe in Mauer am 4. Juli, die von jungen Rechten aus St. Leon-Rot mit Unterstützung des NPD-Kreisverbandes Karlsruhe-Land organisiert wurde. Die Demo fand unter Beteiligung von AktivistInnen aus NPD und dem „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ statt.

NPD - Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus im Gewand einer Partei
Zahlreiche Veranstaltungen von NPD und deren Umfeld fanden seit 2004 im Kraichgau, vor allem im Raum Sinsheim/Waibstadt/Eppingen statt, darunter „Kameradschaftsabende“, Konzerte mit rechten Liedermachern sowie Vortragsveranstaltungen und Feiern.
Als Ansprechpartner der extrem rechten Partei fungiert u.a. der Sinsheimer Augenarzt Dr. Albert Baumgärtner, der 2009 im Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis als Direktkandidat der NPD für die Bundestagswahl kandidiert. Baumgärtner ist seit Jahren in der rechten Szene aktiv.
Kontakte lokaler Nazis und NPD-AnhängerInnen bestehen zu den NPD-Kreisverbänden Karlsruhe-Land und Rhein-Neckar sowie zu AktivistInnen der Kameradschaftsszene der Rhein-Neckar-Region und des Kreises Heilbronn.

Rechtsrock – Begleitmusik für Mord und Totschlag
Neben den Aktivitäten der NPD ist der Kraichgau auch in Sachen Rechtsrock kein unbeschriebenes Blatt.
Die Band „Blue Max“ wurde Ende 2002 im Raum Aglasterhausen/Schwarzach gegründet. Seither hat die Skinhead-Combo drei CDs mit Liedern wie „Frontsoldat“, „Germania“ oder „Befreites Land“ gefüllt. Auf der im August 2009 erschienenen „Schulhof-CD 2009“, mit der die NPD Propaganda unter Jugendlichen machen will, ist „Blue Max“ mit dem Stück „Totale Überwachung“ vertreten.
In den vergangenen Jahren spielte die rechte Band zahlreiche Konzerte in der BRD, aber auch in Frankreich, Spanien, Ungarn oder der Schweiz und steigerte somit ihren Bekanntheitsgrad in der Rechtsrock-Szene. Ein Beispiel hierfür ist der „Musikalische Abend“, den NPD und „Freie Kräfte“ im März 2009 im Kreis Görlitz (Sachsen) organisiert hatten. Unter dem Motto „Nationaler Sozialismus, jetzt!“ spielte auf der Veranstaltung auch „Blue Max“ vor rund 900 Nazis.
Aus ihrer Gesinnung machen die vier Bandmitglieder sowieso keinen Hehl. Der Sänger Tim Wirth war Teilnehmer an mehreren Nazi-Aufmärschen der letzten Jahre, so z.B. auf mindestens einem der „Rudolf-Heß-Gedenkmärsche“ im bayerischen Wunsiedel. „Blue Max“-Bassist Andreas Janko nennt in einem Interview die NPD „die einzigste wählbare Partei“ und findet, dass „jeder vaterlandstreue Mensch die NPD unterstützen“ solle.

Keine Geschäfte mit Nazis!
Dass sich in Sinsheim mit Rechtsrock auch gut Geschäfte machen lassen, beweist der „Asgard-Versand“ aus Sinsheim-Hoffenheim.
Bereits seit 1997 betreibt der Skinhead Michael Schill den Internet-Versand völlig ungestört. Der langjährige Nazi-Aktivist und Kampfhund-Besitzer Schill gehörte Ende der 1980er Jahre zwei „Wehrsportgruppen“ im Kraichgau an. Im Zuge von Hausdurchsuchungen im Herbst 1989 wurden bei ihm zahlreiche Waffen, u.a. eine Panzerfaust, mehrere Gewehre und eine Handgranate, sowie Propagandamaterial beschlagnahmt.
Anfang der 1990er Jahre unterhielt Schill das Postfach der Nazi-Gruppierung „Nordische Jugend“ (NJ). Die NJ war eine neonazistische Jugendgruppe, in der sich vor allem rechte Skinheads aus dem Kraichgau organisiert hatten und die eng mit anderen Nazi-Gruppierungen der Rhein-Neckar-Region zusammenarbeitete.
Michael Schill ist Mitglied der Skinhead-Truppe „Furchtlos und Treu“, einer Nachfolgeorganisation des im Jahr 2000 in der BRD verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerks. Zudem unterstützt er die rechte Szene nach eigenen Angaben durch Sach- und andere Spenden sowie durch die Teilnahme an Demonstrationen und Konzerten.
Kontakte unterhält der Hoffenheimer zu zahlreichen Kadern aus NPD, freien Kameradschaften und Rechtsrock-Szene, wie z.B. dem Kameradschaftsführer und Betreiber des rechten Internet-Versands „Chaos Crew Records“, Pablo Allgeier aus dem Karlsruher Raum.

„Völkischer Nationalismus“ – in Sinsheim völlig ungestört
Die mittlerweile verbotene, aber weiterhin aktive neonazistische Gruppierung „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) führte mindestens zwei Treffen in Sinsheim durch.
Am 21. und 22. Juli 2007 fand ein Wochenendlager der HDJ auf einem Grundstück in Sinsheim-Dühren statt - ohne jeglichen Eingriff von Seiten der Stadt oder der Polizei.
Zur Feier des Geburtstages von Adolf Hitler lud die HDJ am 19. April 2008 auf dasselbe Grundstück ein. Organisator der beiden Veranstaltungen war der Nazi-Funktionär Martin Götze (Eberbach/Rottenburg), der auch für andere „Zeltlager“ und „Fahrten“ der HDJ im gesamten Bundesgebiet verantwortlich zeichnete.
Sinsheim ist also ein Rückzugsraum für eine der extremsten Spielarten des rechten Spektrums, für eine Gruppierung, welche offen den Nationalsozialismus glorifiziert und dessen Führung verehrt.

Was tun die offiziellen Stellen?
Wenn der Sinsheimer Oberbürgermeister behauptet, die Stadt habe kein „Rechtsextremismusproblem“, dann vergisst er, dass das „Zentrum des Kraichgaus“ aus 13 Ortsteilen besteht und ein großes Einzugsgebiet im Umland hat. Gerade in den kleineren Gemeinden des Kraichgaus scheinen sich Nazis pudelwohl zu fühlen. In diesem ländlich geprägten Gebiet herrscht in vielen Teilen der Bevölkerung eine offen rassistische, nationalistische Grundhaltung. So verwundert es auch nicht, dass gerade in den Dörfern unzählige rechte Aufkleber, Flugblätter und Sprühereien zu finden sind. Wenn noch dazu bei einer Feier des lokalen Fußballvereins ein lautstarkes „Sieg Heil“ aus vielen Kehlen zu vernehmen ist und im Alltag vermeintliche Linke verbal angepöbelt und körperlich attackiert werden, fühlen sich BeobachterInnen in eine „national befreite Zone“ versetzt.
Wie so oft reagieren die offiziellen Stellen fast reflexartig und (vermeintlich) entsetzt auf Nazi-Umtriebe, als ob das Problem ganz plötzlich wie ein Geist aus der Flasche auftaucht. Meist sind die rechten Strukturen aber seit Jahren gewachsen, und die AktivistInnen konnten ungestört und unbeobachtet vor sich hin werkeln. Bis vor kurzem machte die Stadt Sinsheim sogar auf ihrer offiziellen Homepage Werbung für die NPD. Sie hatte das angeblich jahrelang nicht bemerkt, bis aufmerksame GewerkschafterInnen den Oberbürgermeister informierten. Dieser ließ den Eintrag sofort entfernen.
Doch das kurzfristige Agieren reicht bei weitem nicht aus!

Die Polizei wiegelt wie immer ab und verharmlost, wie wir das seit Jahren vor allem von der Pressestelle der Heidelberger Polizeidirektion gewohnt sind. Polizeisprecher Harald Kurzer betonte in Bezug auf die HDJ-Feier des „Führergeburtstages“, dass „keine Leute aus der Gegend dabei [gewesen seien]“ – als ob die Veranstaltung damit dann weniger schlimm wäre (Zitat nach: Rhein-Neckar-Zeitung, 23.09.2008). Wenn es um die Einschätzung der rechten Szene im Einflussbereich der Polizeidirektion Heidelberg geht, verfällt die Behörde immer wieder ins Abwiegeln und Herunterspielen, wobei sie die „Qualität“ der Nazi-Aktivitäten vollkommen verkennt und rein quantitativ argumentiert. Teilweise werden Aktivitäten der rechten Szene in den regelmäßigen Pressemitteilungen und Medieninfos der Polizei sogar überhaupt nicht thematisiert.

Die Abhilfe: Organisiert die antifaschistische Selbsthilfe!
Der Umgang bürgerlicher und offizieller Stellen mit dem Nazi-Problem in Sinsheim und dem Kraichgau sowie dem angrenzenden Odenwald zeigt, wie wichtig es ist, sich dort als Link(sradikal)e selbst zu organisieren. Es müssen verbindliche, kontinuierlich arbeitende und schlagkräftige Strukturen vor Ort geschaffen werden, um dem rassistischen, menschenverachtenden Pack konsequenten Widerstand entgegenzusetzen.
Es ist zudem unerlässlich, eigene politisch-kulturelle Werte in der Region zu verankern, link(sradikal)e Treffpunkte zu schaffen sowie durch permanente Durchführung kultureller und politischer Veranstaltungen, den Nazis öffentlichen wie auch privaten Raum zu nehmen.
Ein wichtiger und richtiger Schritt auf diesem Wege ist die Gründung des Freien Antifaschistischen Bündnisses Sinsheim.
Gleichzeitig müssen unsere Strukturen vor Ort dauerhaft und umfassend die rechte Szene der Region beobachten, sie analysieren, thematisieren und ihre ProtagonistInnen ans Licht der Öffentlichkeit zerren.
Nur so ist es möglich, den Nazis ihre Rückzugsgebiete zu nehmen, ihre Infrastruktur anzugehen und ihnen damit die Grundlagen der politischen Propaganda zu nehmen.

Rechte Strukturen aufdecken und angreifen!
Konsequent gegen die polizeiliche Politik des Herunterspielens und Totschweigens!
Nazis entgegentreten – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

AIHD, August 2009

Aktionsbüro Rhein-Neckar (ABRN)
Zusammenschluss regionaler Nazigruppierungen aus der Szene der „freien Kameradschaften“ mit guten Kontakten zur NPD; im ABRN wird die politische Linie festgelegt und werden Aktivitäten wie Demonstrationen u.Ä. geplant. Es gibt zahlreiche Überschneidungen zu Gruppierungen wie der HDJ.

Freie Kameradschaften
Diese extrem rechten Gruppierungen haben keine gesetzlich festgelegte Organisationsform wie z.B. Vereine oder Parteien. In den 1990er Jahren entstanden im Zuge des Verbots zahlreicher Neonazi-Organisationen diese Zusammenschlüsse. Die Kameradschaften beziehen sich direkt auf Personen, (zum Teil abgeänderte) Symbole und Ideologie des Nationalsozialismus. Die Mitglieder der Kameradschaften zeichnen sich häufig durch ihre starke Gewaltbereitschaft aus. Die Kameradschaften firmieren oftmals unter wechselnden Bezeichnungen wie „Freier Widerstand“, „Nationaler Widerstand“ oder „Nationale Sozialisten“.

Furchtlos und Treu (F&T)
Skinhead-Gruppierung mit Sektionen in Württemberg und Baden, mit Schwerpunkt im Raum Heilbronn/Sinsheim. Die Gruppierung organisierte überwiegend Konzerte, Liederabende und Partys, tritt jedoch seit einigen Jahren nicht mehr öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Als Symbol führen die F&T-Skinheads die Faust Götz von Berlichingens in einem Wappenschild. Das gleiche Symbol benutzte im Nationalsozialismus die „17. SS-Panzergrenadierdivision Götz von Berlichingen“.

Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)
Extrem rechter Jugendverband, der sich stark an der „Hitler Jugend“ des Nationalsozialismus orientierte. Bei den Zeltlagern und Freizeiten der rassistischen, nationalistischen HDJ wurden Kinder und Jugendliche militärisch gedrillt und ideologisch im Sinne eines „völkischen Nationalismus“ geschult. Die HDJ wurde 2009 vom Bundesinnenminister verboten. Zellen und Strukturen der HDJ existieren nach wie vor, treten aber nicht mehr offen unter diesem Namen auf.

Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
Älteste extrem rechte Partei in der BRD. Die Partei vertritt zusammen mit ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) ein extrem nationalistisches, rassistisches Weltbild, das in vielen Teilen an ideologischen Versatzstücken des Nationalsozialismus angelehnt ist.