Redebeitrag der AIHD auf der Demonstration
„Enough is enough! Für eine Gesellschaft ohne Rassismus, Ausbeutung und Unterdrückung!“
am 26.03.2011 in Mannheim

Stellen wir uns einmal vor, in der Presse würde über ein Land berichtet, das Oppositionelle mit einem Spitzelapparat ausforschen lässt, der vollständig im Geheimen arbeitet und rechtlich nicht mehr kontrollierbar ist. PolizistInnen würden dort mit falschen Papieren und Tarnidentitäten versorgt, an Gruppen kritischer Intellektueller herangeführt, die sie bis in ihr intimstes Privatleben ausforschen, um belastendes Material zu finden, über die sie massenweise Dossiers anlegen und an ihre Führungsoffiziere weiterleiten. Sollte sich bei den bespitzelten Gruppen nichts Belastendes finden, werden die GeheimpolizistInnen selbst aktiv und begehen Straftaten, um die Situation im Sinne der Regierung eskalieren zu lassen und als Vorwand, um endlich die erwünschten Verhaftungen vornehmen zu können. Alle Anfragen von JournalistInnen oder kritischen PolitikerInnen werden abgebügelt oder scheitern an einer undurchdringlichen Mauer des Schweigens.

Von welchem Land könnte die Rede sein? Tatsächlich haben wir all diese Dinge hier in Heidelberg in den letzten Monaten miterlebt. Sie sind sogar in der bürgerlichen Presse öffentlich gemacht worden. Was leider fehlte, war der Sturm der Empörung über diesen autoritären Spitzelstaat. Bisher warten wir vergeblich auf die Menschenmassen, die die Polizeiwachen stürmen, die Herausgabe ihrer Daten verlangen, Akten verbrennen und Festplatten zertrümmern. Offensichtlich haben sich die meisten Menschen hierzulande schon daran gewöhnt, dass Menschenwürde in diesem Staat für kritische Geister nicht gilt und Linke generell Freiwild für Bespitzelungswut, Schikanen und Polizeigewalt sind.

Der Polizeispitzel Simon Bromma, der in Heidelberg unter dem falschen Namen „Brenner“ Umweltinitiativen, Studigruppen und die antifaschistische Szene bespitzelt hat, war kein Einzelfall. Wie aus Recherchen der AIHD hervorging und nun unter Zwang nach und nach vom Innenministerium bestätigt werden muss, gehört diese Form der Oppositionsbekämpfung in Baden-Württemberg zum Standard. Nicht nur in Heidelberg - wo Bromma nicht der einzige Schnüffler war/ist -, sondern auch gegen die Bürgerinitiativen gegen Stuttgart21 sollten verdeckte ErmittlerInnen in politische Bewegungen eingeschleust werden. Verbeamtete agent provocateurs, die den Kameras die gewünschten Bilder liefern sollten, gab es dort bereits, wie die Arbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen offengelegt hat. Immerhin - diese Rechnung ist nicht aufgegangen: Im Gedächtnis geblieben sind die Bilder prügelnder Robocops, blutender Augenhöhlen und wahllos in die Menge feuernder Wasserwerfer. Während der Proteste gegen den NATO-Gipfel in Kehl und Baden-Baden 2009 forderte Baden-Württemberg sogar britische Polizeiagenten an, die als Spitzel und agents provocateurs aktiv waren.

Dass die grundrechtswidrigen Machenschaften der Mappus-Gefolgschaft nicht nur eine Ministeriumsangelegenheit sind, sondern sich tatkräftiger Unterstützung bis hin zu den untersten Ebenen erfreuen, zeigt sich auch am Beispiel des LKA-Spitzels Bromma: Formell angefordert wurde er von der Polizeidirektion Heidelberg, mithin von Kriminaldirektor Bernd Fuchs und Polizeioberrat Christian Zacherle. Seine Führungsoffiziere, denen er seine abgeschmackten Schnüffeleien abzuliefern hatte, waren die beiden Heidelberger Staatsschutzbeamten Michael Schlotthauer und Volker Schönfeld. Keiner dieser Beteiligten hat bisher Verantwortung für seine Taten übernehmen müssen; sie waren sogar zu feige, der Öffentlichkeit gegenüber auch nur ein Wort darüber zu sagen, wie es zu solchen gravierenden Grundrechtsverletzungen kommen konnte.

Niemand - weder in der Heidelberger Kommunal- noch in der baden-württembergischen Landespolitik - ist offensichtlich willens oder in der Lage, dieses unkontrollierbare Geflecht aus Geheimdienstmethoden, Polizeischikanen und korrupten Politikstrukturen zu entwirren.

Derweil üben sich die Täterinnen und Täter weiter im Leugnen und Vertuschen - auch in Heidelberg. Da ist zum Beispiel Polizeioberrat Christian Zacherle, dessen schon kaum anders als hysterisch zu nennende Furcht vor allem, was sich links nennt, seit langem bekannt ist. Er leugnet bis heute, dass Berichte des LKA-Spitzels Bromma ihm als Vorwand für seine martialischen Polizeieinsätze gedient haben, auch dann, wenn das in der bundesweiten Presse längst ein offenes Geheimnis ist. Da ist Oberbürgermeister Eckart Würzner, der auf Anfragen hin frech behauptet, er als Chef der Ortspolizeibehörde sei in keiner Weise zuständig gewesen für den Einsatz des Spitzels und könne deshalb auch keine Stellungnahme abgeben.
Letztlich geht es aber nur am Rande um die persönliche Verantwortung all dieser lächerlichen Pappkameraden und Charaktermasken. Die Frage, die sich stellt, ist nicht die Frage nach einer aus dem Ruder gelaufenen Provinzpolizei und ihren Auftraggebern und Handlangern, sondern es ist die Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Sind wir wirklich bereit, in einer Gesellschaft zu leben, in der politisch missliebige Meinungen von einem ebenso mächtigen wie undurchschaubaren Polizeiapparat verfolgt werden? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der mensch Angst haben muss, seine oder ihre politische Meinung frei zu äußern, weil jedes Wort erfasst und in polizeilichen Dateien gespeichert werden kann? In einer Gesellschaft, in der die Polizei zur Aufrechterhaltung der politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsordnung Jagd auf Oppositionelle macht?
Wenn wir all dies nicht wollen, dann werden wir anfangen müssen, uns zu wehren. Und das bedeutet ganz konkret: Uns gegen den Schnüffel- und Spitzelapparat von Geheimdienst und Polizei zu wehren. Die Enttarnung des Polizeispitzels Simon Bromma war ein ermutigender Anfang. Wir sollten bei solchen Maßnahmen aber nicht stehen bleiben. Jeder Spitzel muss wissen, dass es ein gefährliches Spiel ist, die Menschenwürde anderer mit Füßen zu treten.
Wer eine Gesellschaft ablehnt, die nur auf die Profitmaximierung weniger ausgerichtet ist und die den Menschen dabei auf den Gegenwert der von ihm abpressbaren Arbeitskraft reduziert, der wird sich ganz konkret und im politischen Alltag auch gegen eine Polizei wehren müssen, die gewaltsam und mit allen denkbaren schmutzigen Tricks dieses kapitalistische Akkumulationsregime durchsetzt und durchprügelt. Eine solche Politik, die sich gegen die Polizei als eigenständig agierende politische Akteurin richtet, darf nicht aus dem Auge verlieren, dass die Herrschaftsstrukturen, die unsere Gesellschaft bestimmen, nicht in Gestalt einer Polizeiuniform zu treffen sind. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass es nicht notwendig wäre, sich dem kapitalistischen Wettbewerbsstaat auch dort ganz praktisch entgegenzustellen, wo er als Polizeiknüppel, Wasserwerfer oder Überwachungskamera auftritt.

Die Polizei agiert immer auch als Instrument zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen, von Verwertungslogik durchdrungenen Ordnung - ob bei der Verfolgung von Flüchtlingen, bei der Vertreibung von BettlerInnen und Obdachlosen oder auch bei der Bekämpfung sozialen Protestes. Diese politische Rolle der Polizei gilt es immer wieder aufzudecken und zu bekämpfen.

In diesem Sinne:
Still not loving police! Gegen Polizeigewalt und Überwachungsstaat!
 

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD), 26.03.2011