AIHD-Redebeitrag auf der Nachttanzdemonstration
am 16.04.11 in Heidelberg
Dass es in Heidelberg kein selbstverwaltetes Zentrum gibt, erklären uns die Grünen und andere naive Gemüter damit, dass die Politiker und Politikerinnen kein Verständnis für Jugendkultur hätten oder dass sie die Wichtigkeit eines nicht-kommerziellen Treffpunkts nicht einsehen würden. In Wirklichkeit geht es aber darum, zu verhindern, dass sich widerständiges, kritisches Potenzial in der Stadt regt und sammelt. Deswegen wurde das AZ im Februar 1999 mit Polizeigewalt plattgemacht, und deshalb erfreut sich die Villa Nachttanz im Gegensatz dazu wohlwollender Duldung.
Wer allzu kritisch nachfragt oder eigene Gedanken entwickelt, macht sich in unserer Gesellschaft verdächtig. Besonders augenfällig ist das in Heidelberg in den letzten Monaten am Einsatz von Bullenspitzeln in linken und alternativen Strukturen geworden.Unter dem Decknamen Simon Brenner hat Der LKA-Beamte Simon Bromma mit Rückendeckung des Innenministeriums alles, was in Heidelberg auch nur ansatzweise kritisch zur herrschenden Politik stand, bis hinein in Schlafzimmer und Elternhäuser ausspioniert und die so gewonnenen Erkenntnisse dem Landeskriminalamt übermittelt.
Simon Bromma war kein Einzelfall. Wie aus Recherchen der AIHD hervorging und unter Zwang nach und nach vom Innenministerium bestätigt werden musste, gehört diese Form der Oppositionsbekämpfung in Baden-Württemberg zum Standard. Nicht nur in Heidelberg - wo Bromma nicht der einzige Schnüffler war -, sondern auch gegen die BürgerInneninitiativen gegen Stuttgart21 sollten verdeckte ErmittlerInnen in politische Bewegungen eingeschleust werden. Verbeamtete Provokateure, die den Kameras die gewünschten Bilder liefern sollten, gab es dort bereits, wie die ArbeitsgemeinschaftKritischerPolizistInnen offengelegt hat.
Immerhin - diese Rechnung ist nicht aufgegangen: Im Gedächtnis geblieben sind die Bilder prügelnder Robocops, blutender Augenhöhlen und wahllos in die Menge feuernder Wasserwerfer.
Während der Proteste gegen den NATO-Gipfel in Kehl und Baden-Baden forderte Baden-Württemberg sogar britische Polizeiagenten an, die als Spitzel und agents provocateurs aktiv waren.Dass diese Machenschaften nicht nur eine Ministeriumsangelegenheit waren, sondern sich tatkräftiger Unterstützung bis hin zu den untersten Ebenen erfreuen, zeigt sich auch am Beispiel des LKA-Spitzels Bromma:
Formell angefordert wurde er von der Polizeidirektion Heidelberg, mithin von Kriminaldirektor Bernd Fuchs. Seine Führungsoffiziere, denen er regelmäßig seine Berichte abzuliefern hatte, waren die beiden Heidelberger Staatsschutzbeamten Michael Schlotthauer und Volker Schönfeld. Keiner dieser Beteiligten hat bisher Verantwortung für seine Taten übernehmen müssen; sie waren sogar zu feige, der Öffentlichkeit gegenüber auch nur ein Wort darüber zu sagen, wie es zu solchen gravierenden Grundrechtsverletzungen kommen konnte. Niemand - weder in der Heidelberger Kommunal- noch in der baden-württembergischen Landespolitik - ist offensichtlich willens oder in der Lage, dieses unkontrollierbare Geflecht aus Geheimdienstmethoden, Polizeischikanen und korrupten Politikstrukturen zu entwirren. Bis heute sind weitere verdeckte ErmittlerInnen gegen die linke Szene in Heidelberg im Einsatz. Wir sind gespannt, wie die neue grün-rote Regierung mit den Spitzeln - die nun ihre Spitzel sind - umgehen wird.Derweil üben sich die Täterinnen und Täter weiter im Leugnen und Vertuschen – auch hier in Heidelberg. Da ist zum Beispiel Polizeirat Christian Zacherle, dessen schon kaum anders als hysterisch zu nennende Furcht vor allem, was sich links nennt, seit langem bekannt ist. Er leugnet bis heute, dass Berichte des LKA-Spitzels Bromma ihm als Vorwand für seine martialischen Polizeieinsätze gedient haben, auch dann, wenn das in der bundesweiten Presse längst ein offenes Geheimnis ist. Da ist Oberbürgermeister Eckart Würzner, der auf Anfragen hin frech behauptet, er als Chef der Ortspolizeibehörde sei in keiner Weise zuständig gewesen für den Einsatz des Spitzels und könne deshalb auch keine Stellungnahme abgeben. Währenddessen schiebt das LKA der Heidelberger Polizeidirektion den „Schwarzen Peter“ zu und behauptet, diese hätte den Einsatz im Alleingang angeordnet.
Letztlich geht es aber tatsächlich nur am Rande um die persönliche Verantwortung all dieser lächerlichen Pappkameraden und Charaktermasken. Die Frage, die sich stellt, ist nicht die Frage nach einer aus dem Ruder gelaufenen Provinzpolizei und ihren Auftraggebern und Handlangern, sondern es ist die Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Sind wir wirklich bereit, in einer Gesellschaft zu leben, in der politisch missliebige Meinungen von einem ebenso mächtigen wie undurchschaubaren Polizeiapparat verfolgt werden? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der mensch Angst haben muss, seine politische Meinung frei zu äußern, weil jedes Wort erfasst und in polizeilichen Dateien gespeichert werden kann? In einer Gesellschaft, in der die Polizei zur Aufrechterhaltung der politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsordnung Jagd auf Oppositionelle macht?
Wenn wir all dies nicht wollen, dann werden wir anfangen müssen, uns zu wehren. Und das bedeutet ganz konkret: Uns gegen den Schnüffel- und Spitzelapparat von Geheimdienst und Polizei zu wehren. Die Enttarnung des Polizeispitzels Simon Bromma war ein ermutigender Anfang. Wir sollten bei solchen Maßnahmen aber nicht stehen bleiben. Jeder Spitzel muss wissen, dass es ein gefährliches Spiel ist, die Menschenwürde anderer mit Füßen zu treten.
In diesem Sinne: Still not loving Police!
Gegen Polizeigewalt und Überwachungsstaat!
Für unkontrollierte und unkontrollierbare Freiräume!
Kommt zur Demo am 21.05. in Heidelberg!
AIHD, 16.04.2011