Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD)
auf der Gedenkfeier am 1.11.2000 auf dem Bergfriedhof

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

Wenn wir heute an die Opfer der nationalsozialistischen Barbarei erinnern und an die Menschen, die den Nazis Widerstand geleistet haben, dann mag es so scheinen, als lägen wir voll im gesellschaftlichen Trend. Der Bundeskanzler hat zum Beispiel verkündet, er wünsche sich ein Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden "zu dem man gerne hingeht". Gleichzeitig können sich - ein anderes Beispiel - drei Viertel der Jugendlichen in Brandenburg nicht vorstellen, einen Juden zum Freund zu haben.

Gedenkfeier für die Opfer des FaschismusSeit diesem Sommer mit seinen erneuten rassistischen und antisemitischen Anschlägen wird, wenn den Ankündigungen der Regierenden Glauben geschenkt wird, der Antifaschismus zur Regierungsdoktrin. Ein wenig seltsam mutet das an, wenn bedacht wird, dass es bisher eher zum üblichen Vorgehen der Bundesregierung gehörte, entschlossenen Antifaschismus zu isolieren, ins gesellschaftliche Abseits zu drängen, und - wo das nicht wirkte- ihn zu kriminalisieren. So wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis zum heutigen Tag durch den Geheimdienst bespitzelt und im Verfassungsschutzbericht als besonders gefährlich eingestuft, weil es ihr gelinge, Antifaschismus bis hinein ins bürgerliche Lager bündnisfähig zu machen. So werden antifaschistische Gruppen z.B. in Göttingen und Passau als "kriminelle Vereinigungen" verfolgt und ihre Mitglieder mit langjährigen Haftstrafen bedroht. Gleichzeitig versucht die deutsche Regierung die Zahl der von deutschen Faschisten Ermordeten auf zynische Art und Weise herunterzurechnen: Von mehr als 120 Mordopfern der Nazis seit der Wiedervereinigung tauchen im Bericht der rot-grünen Bundesregierung gerade mal 25 auf. Ob Justizministerin Däubler-Gmelin das meinte, als sie sagte, es gebe in Deutschland zu viele Wegschauer?

Bundeskanzler Schröder hat nach den jüngsten rassistischen und antisemitischen Anschlägen zu einem "Aufstand der Anständigen" aufgerufen. Damit verharmlost er nazistische Verbrechen zu Taten jugendlicher Rowdys, denen nichts weiter fehle als ein wenig Anstand und andere deutsche Sekundärtugenden. Und so sieht - von einigen pressewirksamen Paradebeispielen abgesehen - auch immer noch die Praxis der deutschen Justiz aus: Für Straftaten wie zum Beispiel Körperverletzung erhalten Nazischläger allenfalls einen drohenden Zeigefinger und die besorgte Nachfrage, ob es ihnen an ausreichender familiärer Nestwärme fehlt oder ob sie sich vielleicht ein Jugendzentrum wünschen. Faschismus wird dabei wahrgenommen als psychologischer und sozialer Defekt und nicht als das, was er ist: ein Verbrechen.

In Wirklichkeit führen die Nazis nur das aus, was ihnen von den gesellschaftlichen Eliten und dem deutschen Mainstream demonstriert wird. Die Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Kultur feierten Martin Walser mit stehenden Ovationen, als er in der Paulskirche seine antisemitische Brandrede hielt. Der Stadtrat von Halle will Walser für seine Rede gar mit dem Preis "Das unerschrockene Wort" ausgezeichnet sehen. Der sozialdemokratische Kriegsminister begründete seinen Angriffskrieg auf Jugoslawien mit der hämischen Bemerkung, gerade die Täternation von Auschwitz sei nunmehr dazu berufen, überall auf der Welt militärisch für Ordnung zu sorgen. Im Kosovo können albanisch-völkische Gruppierungen nun unter dem Schutz deutscher Soldaten weiterhin daran arbeiten, das Land juden- und romafrei zu machen. Innenminister Schily erklärt Flüchtlinge zu einer Art menschlichem Ballast, wenn er verkündet, dass die Belastungsgrenze Deutschlands nunmehr überschritten sei. Nur einige Beispiele aus dem deutschen Alltag, zu dem nach wie vor tägliche rassistische und antisemitische Übergriffe gehören

Wenn wir heute der Menschen gedenken, die es gewagt haben, den Nationalsozialisten Widerstand zu leisten und die dafür mit ihrem Leben bezahlt haben, dann bedeutet das für uns in erster Linie: Wir müssen dafür sorgen, dass ihr Leben und ihr Tod nicht vergebens waren.

Wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, der sollte auch vom Faschismus schweigen.

Wir werden nicht schweigen. Nicht vom Faschismus und nicht von der alltäglichen kapitalistischen Barbarei, die aus Menschen ein verhandelbares Stück Ware macht. Unsere Solidarität gilt den Opfern faschistischer Gewalt ebenso wie den Opfern deutscher Abschiebepolitik und den Opfern des jüngsten deutschen Angriffskrieges gegen Jugoslawien.

Wir werden uns im Kampf gegen den Faschismus ebenso wenig auf den deutschen Staat verlassen wie auf die imaginierte Zivilgesellschaft, von der Schröder sich seinen ‘Aufstand der Anständigen’ erhofft.

Der Schwur von Buchenwald bleibt für uns Verpflichtung:
Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln.ist unsere Losung!
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!