Rede der AIHD auf der Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus
am 1. November 2004 auf dem Heidelberger Bergfriedhof

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,
wie in jedem Jahr kommen wir an diesem 1. November zusammen, um unserer von Nationalsozialisten ermordeten Genossinnen und Genossen zu gedenken.
Wir wollen dabei nicht vergessen, dass die Menschen, die hier begraben liegen, nicht namenlose Opfer sind. Sie wussten, was sie riskierten und sie wussten, warum sie es taten. Sie waren Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten, und daher erkannten sie im Faschismus einen besonders barbarischen, einen besonders grausamen Ausdruck kapitalistischer Herrschaft. Ihr Kampf war ein Kampf gegen jede Form der bürgerlichen Herrschaft und hatte zum Ziel, „alle Verhältnisse umzustürzen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verächtliches und geknechtetes Wesen ist“.
Ferner wollen wir bei unserem Gedenken nicht vergessen, dass es Menschen waren und sind, welche die Geschichte bestimmen. Und wir werden nicht zulassen, dass Täter und Opfer in einen Topf geworfen werden, wie das alljährlich bei einer sehr anderen Gedenkveranstaltung geschieht. Auch in zwei Wochen werden wieder städtische Honoratioren aller Parteien, Militärs und neofaschistische Burschenschafter gemeinsam an der Nazigedenkstätte des so genannten Ehrenfriedhofs Kränze niederlegen. Und sie werden nichts Anstößiges daran finden, ist doch der Gedenkstein für die gefallenen deutschen Helden mit der Aufschrift versehen worden: 'Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft'.
Wir hingegen bestehen auch weiterhin auf der Unterscheidung von Tätern und Opfern. Unsere ermordeten GenossInnen hatten Ziele, für die sie in den Tod zu gehen bereit waren. An die Menschen zu erinnern, die im Kampf gegen die Nazis ihr Leben gelassen haben, bedeutet für uns mehr als nur ein Gedenken an die Opfer. Teil dieses Gedenkens muss sein, die nationalsozialistischen TäterInnen beim Namen zu nennen und mit ihnen die Kontinuitäten zwischen Nazi-Deutschland und der BRD.
Zwar sind die heutigen Verhältnisse in keiner Weise gleichzusetzen mit der Zeit des terroristischen NS-Staats. Aber wenn wir uns messen am Schwur der Häftlinge von Buchenwald, welche die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln forderten, dann müssen wir beschämt unser Scheitern eingestehen. Die alltägliche kapitalistische Barbarei dauert an - und mit ihr Krieg, Rassismus und Antisemitismus.
Dafür, dass der Kampf gegen die Wurzeln des Faschismus nach 1945 nicht vorbei war, stehen viele Genossinnen und Genossen - auch Sophie Berlinghof, die wir vor einigen Jahren zu Grabe tragen mussten. Sie kannte Partei- und Berufsverbote, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen nicht nur aus der Zeit des Nazifaschismus, sondern auch aus dem Nachfolgestaat des 'Dritten Reiches'. Sie starb als ungebrochene Kommunistin und Antifaschistin. Seltsamerweise wird der Öffentlichkeit seit einigen Jahren eingetrichtert, dass der „Antifaschismus“ zur Regierungsdoktrin geworden sei. Gleichzeitig gehört es weiterhin zum üblichen Vorgehen der Bundesregierung, entschlossenen Antifaschismus zu isolieren, ins gesellschaftliche Abseits zu drängen, und - wo das nicht wirkt- ihn zu kriminalisieren. So wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis zum heutigen Tag durch den Geheimdienst bespitzelt und im Verfassungsschutzbericht als besonders gefährlich eingestuft, weil es ihr gelinge,  Antifaschismus bis hinein ins bürgerliche Lager bündnisfähig zu machen. So werden antifaschistische Gruppen z. B. in Göttingen und Passau als "kriminelle Vereinigungen" verfolgt und ihre Mitglieder mit langjährigen Haftstrafen bedroht.
Aber auch auf Länderebene gilt die Kriminalisierung des außerparlamentarischen antifaschistischen Widerstands als hehre demokratische Pflichterfüllung: Das beweist - hier in Heidelberg – der Fall eines politisch begründeten Berufsverbots gegen einen bekennenden Antifaschisten, der behördlich von der Anstellung als Realschullehrer ferngehalten wird.
Und das unter anderem deshalb, weil er - organisiert in unserer Gruppe - dafür Sorge trägt, dass Leben und Tod der im Widerstand gegen den Nationalsozialismus Ermordeten nicht vergebens waren. Deshalb, weil er von der alltäglichen kapitalistischen Barbarei, die aus Menschen ein verhandelbares Stück Ware macht, reden will, um vom Faschismus nicht schweigen zu müssen. Weil er Solidarität übt mit den Opfern rechter Gewalt ebenso wie mit den Opfern deutscher Abschiebepolitik und den Opfern der jüngsten deutschen Angriffskriege.
Weil er sich im Kampf gegen Neonazis ebenso wenig auf den deutschen Staat verlassen will wie auf die imaginierte Zivilgesellschaft, in die Schröder einen ‘Aufstand der Anständigen’ halluziniert hat.
Weil er - wie wir alle - konsequent gegen alle Formen des Faschismus, Unterdrückung und Ausbeutung ankämpft und damit verdeutlicht, dass der Schwur, den die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald im Mai 1945 formuliert haben, für uns Verpflichtung bleibt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren Gemordeten und ihren Angehörigen schuldig.“
Nichts ist vergessen und niemand!

AIHD, November 2004