Rede der AIHD auf der Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus
am 1. November 2008 auf dem Heidelberger Bergfriedhof

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,

jedes Jahr, wenn wir uns am ersten November an den Gräbern der Menschen treffen, die von den Nazis wegen ihres Widerstandes gegen Faschismus und Krieg ermordet wurden, ist das auch ein Anlass, darüber nachzudenken, inwieweit es uns gelungen ist, ihr Erbe anzunehmen und ihren Kampf fortzuführen. Dieser Kampf ist mit der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus nicht beendet. Noch immer gibt es Krieg, Entrechtung und Ausbeutung, Antisemitismus und Rassismus. Und wenn wir uns messen am Auftrag, den für uns der Schwur der Häftlinge von Buchenwald bedeutet, „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ zu erkämpfen, dann müssen wir uns auch in diesem Jahr wieder unser Scheitern eingestehen. Die „neue Welt des Friedens  und Freiheit“, von der sie sprachen, liegt in weiter Ferne.

Im wiedervereinigten Deutschland hat sich eine Kultur des Gedenkens etabliert, die die von den Nazis Ermordeten nur als Opfer sehen möchte und nicht als bewusst handelnde Personen mit politischen Zielen. Die hier bestatteten WiderstandskämpferInnen wären, würden sie noch leben, auch im heutigen Deutschland unbequem und würden als Staatsfeinde diffamiert. Ihre Überzeugung, dass der Faschismus eine besonders barbarische Form der kapitalistischen Herrschaft darstellt, die in letzter Konsequenz nur durch den Kampf gegen die kapitalistische Verwertungslogik zu besiegen ist, wäre auch heute noch ebenso aktuell wie unerwünscht.

Ursprünglich hatte Bürgermeister Wolfgang Erichson zugesagt, heute die Hauptrede zu halten. Er hat ausrichten lassen, dass er zu seinem Bedauern einen auswärtigen Termin wahrnehmen müsse.
Auch wir bedauern seine Absage  Es steht uns natürlich nicht an über die Prioritäten im Terminkalender eines Bürgermeisters zu urteilen. Trotzdem darf an Folgendes erinnert werden:

Bei einer Gedenkfeier sehr anderer Art wird in wenigen Wochen – wie alljährlich – ein Bürgermeister als offizieller Vertreter der Stadt sprechen. Es ist noch nie vorgekommen, dass Termin- oder andere Gründe einen Stadtvertreter daran gehindert hätten.
Auch in diesem November ruft Eckart Würzner – Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg und Alter Herr des Corps Suevia - zum sogenannten Volkstrauertag dazu auf, die von den Nazis errichtete Gedenkstätte des „Ehrenfriedhofs“ zu besuchen. Als Weihestätte für die Toten des Ersten Weltkriegs geplant (die Namen der jüdischen Gefallenen hatte man zuvor diskret aus den Listen getilgt) hatte er schon bald neue für das deutsche Vaterland gefallene Tote zu beherbergen: die im Vernichtungskrieg der Nazis gefallenen Angehörigen von Wehrmacht und SS. Schon damals bereitete die Mystifizierung der vergangenen Schlächterei ideologisch die kommenden Kriege vor.

Heutzutage marschieren Bundeswehrsoldaten mit militärischem Zeremoniell an den von den Nationalsozialisten errichteten Opferstein, der mit der entpolitisierenden und gleichmacherischen Aufschrift „Den Opfern von Krieg und Gewalt in aller Welt“ versehen wurde. Diese Traditionspflege ist für die Bundeswehr nicht nur ein nostalgisches Zugeständnis an die Ewiggestrigen in ihren Reihen, sondern eine aktuelle tagespolitische Notwendigkeit. In Zeiten, in denen die deutsche Armee das Recht beansprucht, in aller Welt Krieg zu führen für die Verteidigung deutscher Interessen, darf an der historischen Traditionslinie nicht gerüttelt werden. Nicht umsonst erhalten deutsche Soldaten seit neuestem wieder Orden für Tapferkeit im Kriege, die dem eisernen Kreuz nachempfunden sind, das auch schon die Helden der Wehrmacht schmückte.

Wir, die wir heute an den Gräbern derer stehen, die sich der nationalsozialistischen Kriegsmaschine widersetzten und dafür mit ihrem Leben bezahlten, meinen eine andere Art von Mut: Den Mut der Deserteure, Saboteure, Fahnenflüchtigen und Wehrkraftzersetzer, die keine Armee hinter sich wussten und die handelten, obwohl sie kaum Anlass zu der Hoffnung hatten, den Erfolg ihres Widerstandes selbst erleben zu dürfen. Kurt Tucholsky hat einmal formuliert: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein !”.

Dieser Mut zum Widerspruch war und ist nicht nur eine Frage des Gewissens – er ist auch die Konsequenz aus historischer Erkenntnis und politischer Überzeugung. Darum gedenken wir auch in diesem Jahr nicht nur der Opfer des Faschismus. Wir erinnern zugleich an unsere ermordeten Genossinnen und Genossen, an ihre Überzeugungen und Ziele.