Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

das Erinnern an diejenigen, die unter der Herrschaft des deutschen Faschismus gewagt haben, Widerstand zu leisten, ist auch heute noch eine in höchstem Maße politische Angelegenheit. Diejenigen, die den Schritt in den Widerstand wagten, wohl wissend, dass sie damit ihr Leben aufs Spiel setzten, zeigen nicht nur die Möglichkeit menschlichen Handelns in einer unmenschlichen Welt auf, sie erinnern zugleich an die unzähligen deutschen MitläuferInnen, TäterInnen und ProfiteurInnen. Wenn wir uns alljährlich hier bei den Gräbern unserer ermordeten Genossinnen und Genossen versammeln, dann erinnern wir nicht nur an die Opfer des Nazi-Terrors, sondern auch an die Täter, die in der BRD größtenteils unbehelligt weiter Karriere machen konnten, während die Opfer schon bald erneuter Verfolgung ausgesetzt waren. Kommunistenverfolgung gehörte sehr schnell wieder zur Staatsdoktrin, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus sind auch heute noch bis in die Mitte der deutschen Gesellschaft hinein präsent. Auch an diese deutsche Realität und Gegenwart erinnern wir, wenn wir der ermordeten Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer gedenken.

Wir haben in diesem Jahr die unsägliche Diskussion um die längst überfällige Rehabilitierung derer erlebt, die von der nationalsozialistischen Justiz als sogenannte Kriegsverräter verfolgt wurden. Dass diejenigen, die sich der faschistischen Kriegsmaschine entgegengestellt haben, 70 Jahre nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus nun endlich als NS-Opfer anerkannt worden sind, ist ein Erfolg, der mehr als nur einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Kaum einer der Betroffenen hat seine überfällige Rehabilitierung erleben dürfen, während die Täter der Nazi-Justiz, wie der furchtbare Nazi-Jurist Filbinger, bis zu ihrem Tod als integre Menschen geehrt wurden.

Ebenfalls in diesem Jahr wurde in Deutschland wieder ein Orden für die Tapferkeit im Krieg eingeführt. Er lehnt sich nicht nur in seiner Form dem Eisernen Kreuz der Wehrmacht an, sondern trägt in seiner Abkürzung sogar den selben Namen: EK – diesmal für ‚Ehrenkreuz’. Diese abgeschmackte Art der Traditionspflege ist nicht nur ein Zeichen mangelnder Sensibilität. Die Bundeswehr braucht offensichtlich diese Kontinuitätslinie, um ihre Rolle als Interventionsarmee einer neu erstarkten Weltmacht ausfüllen zu können.

Auch in diesem Jahr werden Soldaten der Bundeswehr am sogenannten Volkstrauertag bei der Nazi-Gedenkstätte auf dem Ameisenbuckel, die von der Stadt auch heute noch ohne jede Distanzierung „Ehrenfriedhof“ genannt wird, Kränze niederlegen. Zur Erinnerung: Diese vom Reichsarbeitsdienst errichtete Propagandastätte wurde 1934 zur Ehrung der Gefallenen des ersten Weltkriegs durch den Nazi-Bürgermeister Carl Neinhaus eröffnet – allerdings erst nachdem man die Namen der jüdischen Gefallenen sorgsam aus den Listen getilgt hatte. Später wurde das Gräberfeld für die Toten von Wehrmacht und SS erweitert. Dass der Oberbürgermeister auch in diesem Jahr wieder dort zum Gedenken auch an die gefallenen Wehrmachtssoldaten aufruft, bleibt ein Skandal, selbst wenn es mittlerweile eine lange Tradition hat. Daran ändert auch die gleichmacherische und entpolitisierende Inschrift nichts, die man dem faschistischen Opferstein auf dem Ameisenbuckel verpasst hat: „Den Opfern von Krieg und Gewalt in aller Welt“ steht dort mittlerweile.

Wir beharren auf dem Unterschied zwischen Tätern und Opfern. Und gerade heute wollen wir nicht nur um die Ermordeten trauern, sondern auch an ihre Ziele erinnern, die heute noch genauso unbequem wären, wie sie richtig sind: Die Mitglieder der Lechleitergruppe, die elsässischen Widerstandskämpfer und Heinrich Fehrentz begriffen Krieg und Faschismus als den barbarischsten Ausdruck der kapitalistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der der Mensch nicht mehr ist als der Gegenwert der von ihm abpressbaren Arbeitskraft. Das Ausmaß und die Qualität der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik konnten die hier Bestatteten wohl nur erahnen. Wir wissen heute, dass das Grauen der Shoa sich nicht einfach aus kapitalistischen Nützlichkeitserwägungen herleiten lässt. Es ist aber auch nicht denkbar ohne die brutale Nützlichkeitsideologie des Kapitalismus. Es bleibt richtig, was Max Horkheimer 1939 in der Zeitschrift für Sozialforschung schrieb: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

Die die hier begraben liegen, waren nicht bereit zu schweigen – nicht vom Faschismus und nicht vom Kapitalismus. Wenn wir uns heute vornehmen, in ihrem Sinne weiterzuwirken, dann wissen wir, was für eine schwierige Aufgabe noch vor uns liegt.
 

AIHD, 1. November 2009