Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,
 

wie in jedem Jahr am 1. November gedenken wir heute derer, die wegen ihres Widerstands gegen Faschismus, Krieg und rassistische und antisemitische Gewalt ihr Leben lassen mussten. Wir erinnern an unsere ermordeten Genossinnen und Genossen, die auf vielfältige Weise, an verschiedenen Orten und mit sehr verschiedenen Mitteln Widerstand geleistet haben gegen die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus. Einige von Euch sind schon seit Jahrzehnten jedes Jahr dabei, andere vielleicht das erste Mal, und wieder andere sind heute nur in Gedanken hier.
Uns alle vereint der Wille, niemals in Vergessenheit geraten zu lassen, dass es Menschen gab, die unter Einsatz ihres Lebens gegen die Barbarei gekämpft haben. Ihr Erbe wollen wir lebendig halten und niemals zulassen, dass andere wieder einmal die Augen schließen und noch immer behaupten, niemand hätte etwas gewusst und nichts hätte getan werden können.
Wie wichtig es ist, das Erbe unserer GenossInnen auch in aktuellen Auseinandersetzungen zu bewahren, zeigt sich am Beispiel einer Gedenkfeier der sehr anderen Art: Konsequenter antifaschistischer Protest hat dafür gesorgt, dass beim diesjährigen so genannten Volkstrauertag, der in einigen Wochen stattfindet, erstmals das geschichtsrevisionistische Heldengedenken nicht auf der von den Nazis errichteten Gedenkstätte auf dem Ameisenbuckel stattfindet. Gemeinsam haben wir es geschafft, eine Kontinuität in der Gedenkkultur, vom Faschismus bis ins Jahr 2010, zu durchbrechen. Der städtische „Volkstrauertag“ wird zwar auch in diesem Jahr stattfinden. Dieselben Militaristinnen und Militaristen werden versuchen, ihm ihr Gepräge aufzudrücken, und unsere Stimme wird auch weiterhin notwendig sein, um gegen jeden Gegenwind der wirklichen Heldinnen und Helden der deutschen Raubkriege - der Wehrkraftzersetzer und SaboteurInnen - zu gedenken. Aber dass wir es geschafft haben, zu verhindern, dass das Gruselkabinett auf dem so genannten Ehrenfriedhof zusammenkommt, ist ein großer Schritt.

Antifaschistische Politik - zumal, wenn sie erfolgreich ist - ist in diesem Staat noch immer nicht gern gesehen. Sie wird immer noch diskreditiert, ausgegrenzt, und, wo das nichts nützt, kriminalisiert.
Tatsache ist, dass letztes Jahr beim „Volkstrauertag“ nicht nur eine Hundertschaft der Polizei mit Hundestaffel vergeblich versucht hat, uns aufzuhalten, sondern in unseren Reihen mindestens ein Verdeckter Ermittler der Polizei war.
Bis zu seiner Enttarnung im Dezember 2010 hat der Polizist Simon Bromma unter dem Decknamen „Simon Brenner“ fast ein Jahr lang als Verdeckter Ermittler die linke Szene in Heidelberg ausgehorcht und war fast überall dabei, um mit geheimdienstlichen Methoden nach den Linken zu sehen. Bis heute bleibt auch die neue grün-rote Regierung jede Antwort auf die Frage schuldig, wie es zu dem Einsatz kam, wessen und welche Daten gespeichert wurden und ob noch immer zwei Verdeckte ErmittlerInnen in Heidelberg aktiv sind.

Wir wissen aber, dass zwei Personen aus der AIHD Ziel- und Kontaktpersonen des Spitzel-Einsatzes waren.
Wir wissen auch von seinem Eindringen in die intimsten Lebensbereiche von AktivistInnen.
Und wir wissen von seiner Verantwortung für völlig überzogene Repressionsmaßnahmen - wie jener auf dem „Ehrenfriedhof“ letztes Jahr.
Das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei war als Lehre aus der nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Grundgesetz verankert worden. Ein Staat, der heute wieder unbequeme Opposition mit geheimdienstlichen Mitteln ausspioniert, hat aus den Erfahrungen seiner faschistischen Vergangenheit nichts gelernt.
Nach der Zerschlagung Nazideutschlands durch die Rote Armee und die Alliierten war die neugegründete BRD schnell bemüht, vergessen zu machen, was geschehen war. ProfiteurInnen des alten Systems wurden zu ProfiteurInnen des neuen Systems. Kriminalisierte des Faschismus wurden in der BRD nur marginal rehabilitiert oder in Zeiten des Kalten Krieges sogar erneut verfolgt. Das beginnt mit der Weigerung einer Amnestie der von Nazis Verurteilten, zieht sich über die KommunistInnenverfolgung der 1950er und 70er Jahre, findet seinen Ausdruck in den Berufsverboten und wird seit den 1990er Jahren mit der Extremismustheorie ideologisch zementiert.
Auch der Einsatz Simon Brommas ist in dieser reaktionären Tradition zu sehen. Die Kriminalisierung antifaschistischen Widerstands in allen Bereichen hält bis heute an. Für uns hingegen kann dieser Polizei-Einsatz nur ein Beweis dafür sein, dass unsere Arbeit die richtige ist. Denn wenn ein politisches System, das die gesellschaftlichen Wurzeln des Faschismus nicht beseitigt hat und nicht beseitigen will, uns wohlgesinnt wäre, würde es uns nicht zustehen, heute hier der WiderstandskämpferInnen zu gedenken.

Dennoch ist es sowohl legitim als auch notwendig, den deutschen Staat immer wieder an seinen öffentlich formulierten Ansprüchen zu messen. Das gilt auch dann und erst recht, wenn wir wissen, dass die gesellschaftliche Realität eine ganz andere ist.
Diejenigen, die hier begraben sind, haben sich nicht einschüchtern lassen - und das in einer Zeit, in der für diejenigen, die ihre Stimme gegen das Unrecht erhoben haben, sehr viel mehr auf dem Spiel stand als heute. Bezahlen mussten sie für ihren Widerstand mit dem Leben. Die Erinnerung an sie wach zu halten, bleibt für uns eine Verpflichtung. Niemand soll behaupten können, er habe nicht gewusst, wohin eiskalte Verwertungsideologie, Rassismus, Antisemitismus und Kriegshetze führen. Aber niemand soll auch sagen können, es sei nicht möglich, Widerstand zu leisten.
 

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD)
01.11.2011