Michael Csaszkóczy

Beutekunst im Hörsaal der Mörder

Die Eröffnung der „Sammlung Prinzhorn“ gerät zu einer Rehabilitierung der nationalsozialistischen Euthanasie-Täter

Heidelbergs Oberbürgermeisterin Beate Weber ist begeistert: Die Stadt könne ab dem 13.September „einen weiteren Schatz mit internationalem Ruf dem Heidelberger Publikum und den Gästen aus aller Welt“ präsentieren. Gleichzeitig lässt sich damit Toleranz und Weltoffenheit demonstrieren. Handelt es sich bei dem „Schatz“ doch um Kunstwerke, die von Patientinnen und Patienten psychiatrischer Kliniken stammen.

Die Universität Heidelberg hat damit den Sieg errungen in einem Streit mit der Berliner Initiative „Haus des Eigensinns“. Die wollte die Kunstwerke in Verbindung mit einer Gedenkstätte für die Opfer des NS-Euthanasieprogrammes „T4“ in Berlin ausstellen (vgl. KONKRET 9/99). Von der Tiergartenstraße 4 in Berlin aus regelten die Nationalsozialisten die Vernichtung der Menschen, die sie als „lebensunwert“ erkannt hatten. In Heidelberg werden die Bilder nun an einem ähnlich geschichtsträchtigen Ort präsentiert werden: Ein Hörsaalgebäude der psychiatrischen Universitätsklinik ist eigens umgebaut worden, um die Dauerausstellung aufzunehmen. Die Heidelberger Psychiatrie war von 1933 bis 1945 die Wirkungsstätte Professor Carl Schneiders und seiner Kollegen, Dr. Schmieder, Dr. Rauch und Dr. Wendt, die allesamt unter der Rubrik „Forschung Heidelberg“ auf der Gehaltsliste der „Euthanasie-Zentrale“ standen. Carl Schneider arbeitete 1942 einer Aktennotiz zufolge an einer „Absterbeordnung für Idioten“. Seine Korrespondenzen sind durchzogen von der Suche nach „geeigneten Gehirnen“, die er sich entweder aus den „noch existierenden Idiotenanstalten“ besorgen ließ oder direkt aus den Euthanasie-Mordanstalten wie der „Kinderfachabteilung Eichberg“, in der behinderte Kinder massenweise durch Spritzen getötet wurden. Schneider nahm sich im Dezember 1945 in der Untersuchungshaft das Leben. Vielleicht ein voreiliger Entschluss, machten doch seine Kollegen auch nach 1945 steile Karrieren: Dr. Wendt wurde Professor an der psychiatrischen Uniklinik Heidelberg, Dr. Schmieder, der sich 1944 bei Schneider habilitiert hatte, wurde Eigentümer und Leiter einer der größten neurologischen Rehakliniken in Gailingen (Bodensee-Kreis) und erhielt 1979 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Dr. Rauch reüssierte als Gerichtsgutachter. Erst der Befangenheitsantrag des Verteidigers von Jürgen Boock, Heinrich Hannover, brachte die mörderische Tätigkeit Rauchs wieder an die Öffentlichkeit.
Von all diesen unschönen Dingen wird der künftige Besucher kaum etwas erfahren, obwohl etliche der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler dem Massenmord der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

Auch der Name des Museums wird nicht lauten, wie die Berliner Initiative sich das vorgestellt hatte („Haus des Eigensinns -Museum der wahnsinnigen Schönheit“). Statt dessen wird es schlicht den Namen des Mannes tragen, der die Kunstwerke in den Jahren 1919-1921 „zusammengetragen“ hat: „Sammlung Prinzhorn“. Dieser Name, so die Meinung von Stadtverwaltung und Universität, sei historisch und politisch unverfänglich. Schließlich starb Hans Prinzhorn bereits im Januar 1933 kurz vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und ist somit nicht verantwortlich zu machen für die Mordtaten seiner Nachfolger. Verschwiegen wird dabei, dass Prinzhorn schon vor 1933 ein Teil jener völkischen Bewegung war, die auf die Vernichtung alles „Undeutschen“ und „Minderwertigen“ aus war. „Es ist und bleibt grotesk, dass eine einflussreiche, hochintellektuelle Presse es in den letzten Jahren wagen durfte, unser geistiges Leben mit einer zäh und konsequent betriebenen anti-arischen Propaganda zu durchsetzen“ schrieb Prinzhorn etwa und wetterte weiter gegen „die rasend schnelle, in kaum zwei Generationen geschehene Überflutung mit jüdischem Geist“. In seinen psychiatrischen Schriften wird der Arzt als "Idealbild des Übermenschen" präsentiert. Weniger bekannt sind die gesellschaftspolitischen Schriften Prinzhorns.  Sein politisches Denken ist geprägt von Volksgemeinschaftsideologie und Führergedanken. Eines seiner letzten Werke heißt denn auch "Gemeinschaft und Führertum. Ansatz zu einer biozentrischen Gemeinschaftstheorie".

Für die Universität Heidelberg sind allerdings weder Prinzhorns fanatischer Antisemitismus noch seine Übermenschen-Träume von Belang. Bettina Brand-Claussen, die im Auftrag der Universität für die Prinzhorn-Sammlung forscht, stellt klar: „Die Sammlung trägt den Namen Prinzhorns, weil dieser nach seiner erfolgreichen Sammeltätigkeit eine erste, noch heute beachtenswerte Bearbeitung der Werke vornahm.“

René Talbot, Sprecher des Bundesverbandes der Psychatrieerfahrenen (BPE), dagegen erläutert die Motive für Prinzhorns Sammeleifer so: „Was ihn bekannt gemacht hat, ist die Plünderung der künstlerischen Werke psychiatrisierter Menschen für die Gründung eines psychopathologischen Museums. Dabei nutzte er die entrechtete Situation dieser Menschen schamlos aus – eingesperrt und entmündigt raubte er ihnen das letzte, was ihnen als Urhebern gehörte, ihre künstlerischen Werke (...). Bis heute werden die Werke nicht identifizierter Künstler mit Wörtern wie „Schizophrenie“, „Paranoia“ und „degenerativer Schwachsinn“ diffamiert.“

Auch heute noch behandelt die Universität die Kunstwerke als Teile der Patientenkartei. Anders wäre weder ein Besitzanspruch der Klinik zu begründen, noch das nun verwirklichte Ausstellungskonzept zu verteidigen: Die Künstler zählen nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten „psychischer Krankheit“.

Auch die Stadt Heidelberg will sich ihren „Schatz“ nicht von der Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit madig machen lassen. Exemplarisch lässt sich die Haltung der Stadtverwaltung aus dem Programmheft zum eigens zur Eröffnung der Sammlung veranstalteten ‚Kulturprogramm’ ablesen: "Die Jahre, die Hans Prinzhorn in Heidelberg verbrachte, zählen zu den Sternstunden der Wissenschaftsgeschichte" ist alles, was die sozialdemokratische Oberbürgermeisterin Beate Weber über den fanatischen Anhänger der "arischen Art" zu sagen weiß. Über die Geisteshaltung Prinzhorns heißt es ein wenig später im Programmheft lapidar: "Das Denken Hans Prinzhorns kreiste Zeit seines Lebens um die von Nietzsche übernommene Frage nach dem Authentischen am Menschen." Wirklich widerwärtig wird es allerdings, wenn in der Broschüre über den Menschen geschrieben wird, der die Nazi-Phantasien vom Übermenschen in die Tat umsetzte. In der beigefügten 'Chronik der Sammlung Prinzhorn' heißt es: "1938: Klinikdirektor Carl Schneider übergibt der Wanderausstellung "Entartete Kunst" Zeichnungen der Sammlung. Er instrumentalisiert die Sammlung und ihre Schöpfer als pathologisches Beweismaterial gegen die Kunst der "Moderne", greift aber den Bestand nicht weiter an." Das ist alles, was das Kulturamt der Stadt Heidelberg über den Euthanasie-Massenmörder Carl Schneider zu sagen weiß!

In der „Sammlung Prinzhorn“ feiern die „erwachsen“ gewordenen 68er ein weiteres Mal ihren Sieg über die Erinnerung und ihre Zumutungen.

Man darf wieder unbeschwert und fröhlich sein: Im erwähnten Kulturprogramm findet sich auch eine Performance-Show mit dem Untertitel „Sonderfälle, Rückschläge und Kuriositäten“. Veranstaltungsort: Die von den Nationalsozialisten erbaute Propaganda-Arena der Heidelberger ‚Thingstätte’.

KONKRET 9/2001