Redebeitrag der AIHD auf der Demo gegen Videoüberwachung und Sicherheitswahn in Heilbronn (09.03.2002)

In den letzten fünf Jahren hat der Begriff „Innere Sicherheit“ eine ungeahnte Karriere erfahren. Die tatsächlichen Unsicherheitsfaktoren können in der "marktwirtschaftlichen Ordnung" nicht beseitigt werden: die versprochene ewige Konjunktursteigerung bleibt aus, die Arbeitslosenzahlen steigen weiter und mit der friedlichen Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Blockkonfrontation ist es auch nichts geworden. Stattdessen werden immer neue Bedrohungsszenarien konstruiert, durch deren rigide Bekämpfung der deutschen Durchschnittsbevölkerung ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden soll.
Als Buhmämnner und –frauen eignen sich alle, die aus der kapitalistischen Verwertungslogik herausfallen oder sich ihr bewusst widersetzen.

Da sind zum einen die unerwünschten AusländerInnen. Gemeint sind natürlich nicht die händeringend gesuchten IT-SpezialistInnen, sondern in erster Linie Flüchtlinge und nur mäßig qualifizierte ArbeiterInnen. Nicht erst seit dem 11. September 2001 wird der Begriff „Ausländer“ fast schon als Synonym für Sicherheitsrisiko verwendet. Damit stellt sich das neue Feindbild des „extremistischen Terrorismus“ in eine Reihe mit bewährten wahlkampftauglichen Konstruktionen wie der „organisierten Kriminalität“, die in der Öffentlichkeit eigentlich nur als Ausländerkriminalität denkbar ist.

Doch nicht nur von solchen letztlich anonymen Mächten wird die deutsche Normalbevölkerung angeblich bedroht, sondern auch der Alltag steckt voller Gefahren. Eine ganze Anzahl von Personengruppen beeinträchtigt die ungehinderte Konsumfreude der EinkäuferInnen in den Innenstädten: Schenkt man den ProtagonistInnen der „inneren Sicherheit“ Glauben, so bevölkern ganze Heerscharen von Obdachlosen und aggressiven BettlerInnen die Fußgängerzonen, pöbelnde Punks und rücksichtlose SkaterInnen machen den Einkaufsbummel zur gefährlichen Großstadtsafari. Kaum eine Gemeinde, die nicht in den letzten Jahren eigene Konzepte und Kampagnen ‚für eine saubere Innenstadt’ entwickelt hätte – z. B. Heidelberg seit 1998 mit der Kampagne „Gegen Schmutz und Schmiererei“.
Nach und nach haben die Kommunen ihre Polizeiverordnungen durch verschärfte Versionen ersetzt, die auch die geringste Abweichung von der Norm mit massiven Strafen belegen. So meint etwa die Stadt Heidelberg, das „Angeln in öffentlichen Brunnen“ oder das „Entfernen von Laub aus öffentlichen Anlagen“ mit hohen Bußgeldern ahnden zu müssen.
Parallel dazu wird die Überwachung des öffentlichen Raumes immer mehr vorangetrieben. Allerorten werden Kameras aufgestellt, die durch „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigern sollen.
In einigen Bereichen ist die angestrebte totale Überwachung in Verbindung mit der Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raumes bereits Realität geworden. Musterbeispiel sind die überall neu entstehenden Einkaufszentren und –passagen, die mit ihren privaten Sicherheitsdiensten alles und jeden entfernen, der oder die nicht in ihr Verwertungsinteresse passt.

Die in der allgemeinen Hysterie nach dem 11.September durchgepeitschten Gesetze, mit denen als AusländerInnen stigmatisierte Menschen überwacht und verfolgt werden können, übertreffen alles, was eine CDU-Regierung an restriktiver AusländerInnenpolitik je zu träumen wagte.

Hinter dieser Entwicklung hin zu einem Polizeistaat und einer Überwachungsgesellschaft steht ein System, das Menschen nicht anders kategorisieren kann als nach ihrer Verwertbarkeit.

AIHD, März 2002