Redebeitrag auf der Demo gegen die (Video-)Überwachungsgesellschaft
in Mannheim am 13.02.2001

 
 

KameraWir demonstrieren heute - anlässlich der in Mannheim stattfindenden Innenministerkonferenz der CDU-geführten Bundesländer - gegen die (Video)Überwachungsgesellschaft. Wir demonstrieren ferner gegen den von polizeilicher Gewalt zusammengehaltenen deutschen Nationalstaat der „Inneren Sicherheit“. Dabei ist die Tatsache, dass sich heute und morgen hier in Mannheim hochrangige Funktionäre der christdemokratischen Parteien treffen, relativ nebensächlich. Innerhalb des seit Jahren forcierten Sicherheitsdiskurses in der BRD gibt es nämlich zwischen den staatstragenden, in Bundestag und Bundesrat vertretenen Parteien kaum noch Unterschiede. Im Gegenteil: Gerade die SPD - und hierbei allen voran ihr „Law and Order“-Schily - betreibt - zusammen mit den Grünen - eine nach innen und außen gerichtete Sicherheitspolitik, die in ihrer Rigidität christdemokratischen Konzepten in nichts nachsteht, sie teilweise sogar noch rechts überholt - vor allem im Bereich der Abschottung der Festung Europa. So wurde bei einer SPD-Veranstaltung im ach so liberalen Heidelberg zum Thema „Videoüberwachung an »Kriminalitätsschwerpunkten«“ vom SPD-Landtagskandidaten Claus Wichmann bekräftigt, endlich den „klaren polizeigesetzlichen Rahmen“ für die Möglichkeit zu schaffen, auch in Heidelberg öffentliche Plätze wie den Bismarckplatz mit Videokameras überwachen zu können. Dabei betonte die SPD, dass die Überwachung an öffentlichen Plätzen nur „ein Modul im Gesamtpaket der Prävention“ sei, die „Präsenz der Polizei vor Ort und die Sozialarbeit“ also nicht vernachlässigt werden dürften. Im Übrigen, so die SPD, deren Jugendorganisation aus wahltaktischem Manöver heraus heute mit zu dieser Demonstration aufruft, finde die Videoüberwachung nicht verdeckt, sondern öffentlich statt, das heißt durch Öffentlichkeitsarbeit und Hinweisschilder werde ja auf die Kameras aufmerksam gemacht.
 

Zum gesellschaftspolitischen Hintergrund dieser Maßnahmen ist zu sagen, dass in den letzten Jahren wegen angeblicher Gefährdung der „Inneren Sicherheit“ ein massiver Ausbau des autoritären Polizei- und Überwachungsstaates betrieben wird. Zur Begründung dafür müssen Extrembeispiele wie sexualisierte Gewalt an Kindern oder medial inszenierte Konstruktionen wie „Organisierte Kriminalität“ herhalten. Die gesellschaftlichen Forderungen nach prinzipiell mehr Sicherheit unterstützen dabei die staatlichen Kontrollmaßnahmen; beides bedingt sich gegenseitig. Erster Höhepunkt dieser Entwicklung war die 1998 von einer Großen Koalition aus CDU/CSU, FDP und SPD beschlossene Einführung des so genannten „Großen Lauschangriffs“, mit dem dann sogar das bürgerliche Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung demontiert wurde.

Mittlerweile werden diese Überwachungsmöglichkeiten sukzessive weiter ausgebaut. In Sachen Telefonüberwachung hat die BRD einen Spitzenplatz eingenommen: insgesamt werden hier mehr Telefongespräche mitgeschnitten als in den USA.

In Städten wie Leipzig und Mannheim ist die Kameraüberwachung öffentlicher Bereiche eingeführt worden; in anderen Städten Überwachungskamerawie z. B. Heidelberg ist die Einführung solcher oder ähnlicher Maßnahmen im Gespräch beziehungsweise in Vorbereitung und wird - wie wir gerade gezeigt haben - auch von der SPD vorangetrieben.

Überwachung findet aber auch in anderen Bereichen statt. Beispiele hierfür sind die vor einigen Jahren eingeführten „verdachts- und anlassunabhängigen Kontrollen“, die Aktivität des Verfassungsschutzes und die Abnahme und Speicherung des Erbgutes:

Seit der 1998 erfolgten Einrichtung einer bundesweiten Gen/DNA-Analyse-Zentraldatei beim Wiesbadener Bundeskriminalamt, mit der die Speicherung des genetischen Fingerabdrucks endgültig verrechtlicht wurde, sind bisher etwa 72.000 persönliche DNA-Identifikationsmuster erstellt worden. Bedingung für die Abnahme dieses „genetischen Fingerabdrucks“ ist eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“. Was hierunter von der Rot-Grünen Bundestagsmehrheit verstanden wird, zeigt sich bei der Betrachtung des von ihr im Frühjahr 1999 vorgelegten Strafkatalogs. Dieser umfasst neben Kapitalverbrechen wie Mord auch Delikte wie Einbruchdiebstahl und Vollrausch.
Welche Auswirkungen diese Überwachungsmaßnahmen haben, zeigt sich ziemlich offensichtlich in Heidelberg:
Dort wurden nach einer friedlich verlaufenden, in den Kampf für ein neues Autonomes Zentrum eingebundenen Hausbesetzung im Februar letzten Jahres sieben Personen vorläufig festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und zur Abgabe von Speichel zur Speicherung ihrer DNA gezwungen. Einer Person, welche die Abgabe ihrer Speichelprobe verweigerte, wurde unter Zwang Blut entnommen.
Im Oktober 2000 wurden drei Anti-AKWlerInnen, die aus Heidelberg und Mannheim stammen, „bei einem nächtlichen Spaziergang auf dem Stichgleis zum Atomkraftwerk Biblis ... festgenommen. Obwohl nichts geschehen war, keine Tat begangen wurde und das Gleis nicht zum offiziellen Eisenbahnverkehr gehört, lautete die Anklage zunächst auf „versuchter Anschlag/versuchte Sachbeschädigung von öffentlichen Einrichtungen und Bahnanlagen und versuchte Zerstörung von Bauwerken“. Die drei ... wurden über einen Tag in der Polizeidirektion Lampertheim festgehalten. Dort wurden sie erkennungsdienstlich behandelt, und es wurden ihnen Speichelproben entnommen.“ Außerdem werden sie nun nach §129a beschuldigt, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein.

Auch nach dem Mord an einem 12-jährigen Mädchen in Heidelberg-Rohrbach werden im Rahmen der Ermittlungen seit Ende 2000 in Heidelberg umfassende, „freiwillige“ DNA-Analysen durchgeführt. In zahlreichen Fällen wurden hierbei Männer, die aus dem Sympathisanten-Umfeld des Autonomen Zentrums (AZ) stammen, um Speichelproben „gebeten“. Gegen alle diese Personen wurde zwar irgendwann einmal strafrechtlich ermittelt; allerdings bezogen sich diese Ermittlungen auf Straftatbestände, die in keiner Weise mit Mord oder Vergewaltigung in irgendeinen Zusammenhang gebracht werden können.

Und schließlich wurde die Tatsache, dass es im Neuenheimer Feld innerhalb kürzester Zeit zu Vergewaltigungen gekommen ist, dazu benutzt, öffentlich „über technische Sicherheitsmaßnahmen und Personenkontrollen durch Sicherheitsdienste und Polizei“ und die totale Erfassung dieser anonymisierten Wohngegend zu diskutieren. Dabei wurden wieder einmal FrauenLesbeninteressen vorgeschoben, um sexistische und rassistische Wahrnehmungsraster in den öffentlichen Sicherheitsdiskurs einzubauen. Auf der einen Seite wurde bewusst verschwiegen, dass „ca. 70 % aller Vergewaltigungen und Übergriffe in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz verübt werden“ und „die Sicherheitsdienste und die Polizei ... auf Grund ihrer hierarchischen Strukturen und ihres hohen Männeranteils für sexuelle Übergriffe bekannt und deshalb für Frauen nicht vertrauenswürdig“ sind. Und auf der anderen Seite wurde in der Rhein-Neckar-Zeitung demonstrativ ein Bild von einer Polizeikontrolle gezeigt, auf dem gerade ein „dunkelhäutiger“, „kraushaariger“ Mann in die Mangel genommen wird - obwohl die Beschreibung des Täters mit ausschließlich stereotyp-deutschen Attributen wie „blond“, „hellhäutig“ und „blauäugig“ arbeitete und die meisten Vergewaltiger tatsächlich normale Bürger, Mitstudenten, Dozenten, Nachbarn, Bekannte oder der eigene Partner sind...

Die genannten Fälle dienen dazu, in Wechselseitigkeit mit dem fest in der Bevölkerung verankerten Drang nach Stillung des „individuellen Sicherheitsbedürfnisses“ in den Massenmedien einen eindeutig intendierten „Sicherheitsdiskurs“ zu propagieren, an dessen jeweiligem Ende entweder die Verschärfung bestimmter Gesetze oder die totale Erfassung des vermeintlich bedrohten „öffentlichen Raums“ stehen soll.

Dagegen werden wir effektiven Widerstand leisten!
Bringen wir jene Verhältnisse zum Einsturz, in denen der Drang nach immer mehr Sicherheitsbedürfnis erst entstehen kann!

Keine Aussagen an Bullen oder andere Schnüffler!

Gegen Überwachungsgesellschaft und Polizeistaat!
Den Sicherheitswahn durchbrechen!
Ihre Sicherheit angreifen!

Mannheim, 13.02.2001