Freiheit stirbt mit Sicherheit!
Gegen Überwachungsgesellschaft und Polizeistaat!

Die „innere Sicherheit“
Kick a barcode!In den letzten fünf Jahren hat der Begriff „innere Sicherheit“ eine ungeahnte Karriere erfahren. Die tatsächlichen Unsicherheitsfaktoren können in der „marktwirtschaftlichen Ordnung“ nicht beseitigt werden: die versprochene ewige Konjunktursteigerung bleibt aus, die Arbeitslosenzahlen steigen weiter, und mit der friedlichen Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Blockkonfrontation ist es auch nichts geworden.
Stattdessen werden immer neue Bedrohungsszenarien konstruiert, deren rigide Bekämpfung der deutschen Durchschnittsbevölkerung ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Die Erweiterung der Repressionsmöglichkeiten hat innerhalb von kurzer Zeit ein derartiges Ausmaß angenommen, dass sie faktisch eine Notstandsgesetzgebung ohne Notstand darstellt.

Die kapitalistische Verwertungslogik als Regelwerk der „inneren Sicherheit“
Hinter dieser Entwicklung hin zu einem Polizeistaat und einer Überwachungsgesellschaft steht ein System, das Menschen nicht anders kategorisieren kann als nach ihrer Verwertbarkeit und das gegen all jene vorgeht, die aus der kapitalistischen Verwertungslogik herausfallen oder sich ihr bewusst widersetzen. Dazu gehören die als unerwünscht eingestuften AusländerInnen, also alle Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen bis auf die händeringend gesuchten IT-SpezialistInnen. Diese Menschen werden in Naturkatastrophenmetaphorik („Ausländerfluten“, „Flüchtlingswellen“) zu einer Bedrohung in Form einer immer wieder beschworenen „Überfremdung“ erklärt, gegen die eine - unbedingte Unterwerfung fordernde - „deutsche Leitkultur“ in Stellung gebracht wird.

Die Festung Europa
Mit der zunehmenden Salonfähigkeit halluzinierter Bedrohung durch MigrantInnen, die bis vor wenigen Jahren in dieser Offenheit nur von Rechtsaußen zu hören war, geht der Ausbau der „Festung Europa“ einher, bei der zwischen „guten“ EU-BürgerInnen und „schlechten“ Nicht-EU-AusländerInnen unterschieden wird.
Deutlich wird dies besonders am dabei maßgeblichen Schengener Abkommen. Es beinhaltet einerseits eine stärkere Öffnung der „Intra-Schengen-Grenzen“, von der allerdings ausschließlich EU-BürgerInnen profitieren und die nach Belieben aufgehoben werden kann, wenn sich - wie im Fall der Gipfelproteste - internationaler Widerstand zu formieren droht. Andererseits verschärft es auch die Kontrolle der Außengrenzen, die durch staatenübergreifende Überwachungs- und Repressionsinstrumentarien wie das Schengener Informationssystem SIS und der europäischen Staatsschutzpolizei Europol gesichert wird. Zusätzlich zu den offiziellen Staatsgrenzen gibt es aufgrund der Residenzpflicht für Flüchtlinge weitere Grenzen, die ihre Bewegungsfreiheit auf den jeweiligen Landkreis beschränken.

Rassistische Abschiebepraxis
Doch nicht nur damit wird versucht, AsylbewerberInnen innerhalb der EU-Staaten das Leben unerträglich zu machen. Die Unterbringung in abgelegenen Sammelunterkünften mit rigiden Hausordnungen, die Ausgabe von Gutscheinen und Lebensmittelpaketen anstelle von Geld sowie ein striktes Arbeitsverbot dienen ebenso zur Abschreckung weiterer potenzieller AsylbewerberInnen wie die ständige Bedrohung mit Abschiebung. Letztere zeichnet sich vor allem durch die „präventive Verbringung“ in Abschiebeknäste aus, in denen die Betroffenen oft über viele Monate hinweg unter katastrophalen Bedingungen festgehalten werden. Beispielhaft für die rechtlose Situation von Flüchtlingen und die beliebige Errichtung von Grenzen im Inneren ist der Frankfurter Flughafen, dessen Definition als extraterritoriales Gebiet eine Einreise und das Stellen eines Asylantrags unmöglich macht. Dort werden die Menschen unter völliger Kontaktsperre bis zu ihrer Abschiebung in einem speziellen Gebäude auf dem Flughafengelände festgehalten, eine Praxis, die durch das letztjährige Antirassistische Grenzcamp thematisiert wurde.

Die „Sicherheitsrisiken“ der bürgerlich-kapitalistischen BRD
Doch auch die AusländerInnen mit gesichertem Aufenthaltsstatus werden zur Bedrohung konstruiert: nicht erst seit dem 11. September 2001 wird der Begriff „Ausländer“ fast schon als Synonym für „Sicherheitsrisiko“ verwendet. Mithilfe des Feindbildes des „extremistischen Terrorismus“ wurde eine Reihe von Gesetzen durchgepeitscht, mit denen als AusländerInnen stigmatisierte Menschen überwacht und verfolgt werden können. Diese neuen Repressionsmöglichkeiten, wie z. B. die auch an der Heidelberger Universität praktizierte Rasterfahndung, übertreffen alles, was eine CDU-Regierung an restriktiver AusländerInnenpolitik je zu träumen wagte. Die imaginierte Bedrohung durch den „islamistischen Terror“ fügt sich nahtlos in die Reihe bewährter wahlkampftauglicher Konstruktionen wie der „organisierten Kriminalität“, die in der Öffentlichkeit eigentlich nur als „Ausländerkriminalität“ denkbar ist. Dadurch werden alle als nicht-deutsch Wahrgenommenen automatisch zu Verdächtigen, die völlig grundlos auf offener Straße rassistischen Kontrollen ausgesetzt sind.
Doch auch andere Personengruppen bedrohen angeblich die deutsche Normalbevölkerung und beeinträchtigen insbesondere die ungehinderte Konsumfreude der EinkäuferInnen in den Innenstädten. Schenkt man den ProtagonistInnen der „inneren Sicherheit“ Glauben, so bevölkern ganze Heerscharen von Obdachlosen und aggressiven BettlerInnen die FußgängerInnenzonen, pöbelnde Punks und rücksichtslose SkaterInnen machen den Einkaufsbummel zur gefährlichen Großstadtsafari. Kaum eine Gemeinde, die nicht in den letzten Jahren eigene Konzepte „für eine saubere Innenstadt“ entwickelt hätte - z.B. Heidelberg seit 1998 mit der Kampagne „Gegen Schmutz und Schmiererei“. Nach und nach haben die Kommunen ihre Polizeiverordnungen durch verschärfte Versionen ersetzt, die auch die geringste Abweichung von der Norm mit massiven Strafen belegen. So meint etwa die Stadt Heidelberg, das „Angeln in öffentlichen Brunnen“ oder das „Entfernen von Laub aus öffentlichen Anlagen“ mit hohen Bußgeldern ahnden zu müssen.

Die systematische Verdrängung alternativer Konzepte aus den Innenstadtbereichen
Zusätzlich sollen Menschen oder linke Treffpunkte, die nicht über die entsprechende Kaufkraft verfügen oder als „stadtbildbeschmutzende Schandflecke“ marginalisiert werden, konsequent vertrieben werden. Beispielhaft für die Verdrängung alternativer Konzepte aus dem Innenstadtbereich ist die Räumung des Heidelberger Autonomen Zentrums am 1. Februar 1999, das als relativ zentral gelegener Treffpunkt für unabhängige Kultur und link(sradikal)e Politik den städtischen „Saubermännern und -frauen“ in seiner achtjährigen Existenz immer ein Dorn im Auge war.
Dementsprechend interessiert sich die Stadtverwaltung auch nicht mehr für ihre früheren Versprechen, für gleichwertigen Ersatz zu sorgen, und blockt sämtliche Versuche seitens des Autonomen Zentrums (im Exil), wieder in Verhandlungen zu treten, ab.

Die Überwachung, Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums
ÜberwachungskameraParallel zur Vertreibung unliebsamer Personengruppen wird die Überwachung des öffentlichen Raumes immer mehr vorangetrieben. Allerorten werden Kameras aufgestellt, wie beispielsweise in Mannheim, die durch „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigern sollen. Hierbei ist zu beachten, dass dies keineswegs einen Rückgang der Kriminalität mit sich bringt, sondern - wenn überhaupt - eine Verlagerung (schließlich werden auch trotz massiver Videoüberwachung weiterhin Banken überfallen).
In einigen Bereichen ist die angestrebte totale Überwachung in Verbindung mit der Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raumes bereits Realität geworden. Musterbeispiel sind die überall neu entstehenden Einkaufszentren und -passagen, die mit ihren privaten Sicherheitsdiensten alles und jeden entfernen, der oder die nicht in ihr Verwertungsinteresse passt.

Das „Neighbourhood Watch“-Syndrom des „kleinen Mannes“ und der „kleinen Frau“
Diese Überwachungsmaßnahmen stoßen bei der deutschen Normalbevölkerung nicht auf den geringsten Widerstand; vielmehr sind die im Verlauf des Sicherheitsdiskurses laut gewordenen Forderungen von den einzelnen BürgerInnen so verinnerlicht worden, dass sie diese selbstständig in ihrem direkten Wohnumfeld umsetzen. Dabei steht jetzt nicht mehr der traditionelle nachbarschaftliche Kleinkrieg im Mittelpunkt, der sich in erster Linie dem Kampf gegen Schmutz und Lärm widmet.
Neue Bedrohungsszenarien wie „organisiertes Betteln“, angeblich zunehmender Einbruchdiebstahl und immer dreister werdende Trickbe-trügerInnen schaffen Misstrauen gegenüber allen fremden oder auffälligen Personen im Wohngebiet.
Indem diese Ängste auch von den Medien gezielt geschürt werden („Nepper, Schlepper, Bauernfänger“), entsteht ein diffuses „Sicherheitsbedürfnis“, das nicht mehr allein durch die üblichen Polizeimaßnahmen befriedigt werden kann. Dies zieht eine Verstärkung der privaten Kontrolleinrichtungen - etwa in Form von Alarmanlagen und Bewegungsmeldern - nach sich und führt im Extremfall zur Gründung von Bürgerwehren, um die imaginären Gefahren zu bekämpfen. Nichtsdestotrotz bleibt die Zusammenarbeit mit den Behörden erhalten und wird von selbst ernannten AktivbürgerInnen sogar noch zunehmend ausgebaut, die durch „Neighbourhood Watch“ und die Weitergabe beobachteter Rechtsverstöße an die Polizei den Weg in die totale Überwachungsgesellschaft freiwillig ebnen. Diese Tendenz soll durch (das DenunziantInnentum fördernde) Fernsehserien wie „Aktenzeichen XY ungelöst“ unterstützt und in der breiten Bevölkerung verankert werden. Dadurch wird zusätzlich zu den staatlichen Instrumentarien ein bürgerliches Spitzelsystem geschaffen, dessen Mitglieder sich mit der Idee der „inneren Sicherheit“ identifizieren in der Überzeugung, von dieser zu profitieren.

Für den Aufbau einer antikapitalistischen Perspektive
Letztlich hat diese Entwicklung hin zu Polizeistaat und Überwachungsgesellschaft das Ziel, die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft von innen zusammenzuhalten, deren Krisenanfälligkeit sich allen Wahlversprechungen zum Trotz immer wieder zeigt. Zur Bekämpfung sich anbahnender Krisen wird mit Vorliebe auf bewährte Bedrohungsszenarien aus der propagandistischen Mottenkiste zurückgegriffen, die in immer neuen Variationen nicht nur „BILD“-LeserInnen erfreuen. Mithilfe der angeblich drohenden Gefahren im Inneren werden gezielt Ängste geschürt, durch die verschiedene Bevölkerungsgruppen geschickt gegeneinander ausgespielt werden mit dem positiven Nebeneffekt, dass auch dem letzten Sozialhilfeempfänger das Gefühl vermittelt wird, in der Hierarchie noch über anderen zu stehen. Parallel zu diesem im bürgerlichen Alltag umgesetzten Überlegenheitsgefühl wird auch der Nationalchauvinismus auf staatlicher Ebene immer offener zur Schau getragen, was sich nicht zuletzt in Kriegseinsätzen äußert, die mit einer angeblich gewachsenen Verantwortung Deutschlands begründet werden. Indem anhand wilder Verschwörungstheorien eine vermeintliche Bedrohung von außen konstruiert wird, kommt es zu einer Stärkung des Wir-Gefühls innerhalb der Bevölkerung, durch welche die Unmöglichkeit der systemimmanenten Bewältigung der Wirtschaftskrisen kaschiert wird. Gerade diese Notwendigkeit der staatlichen Ablenkungsmanöver zeigt die Gefahr, die dem kapitalistischen System durch die ihm innewohnende Krisenanfälligkeit droht. Die herrschende Wirtschaftsordnung ist nicht so unverwundbar und alternativlos, wie ihre ProtagonistInnen uns das glauben machen wollen: Aufgabe der radikalen Linken muss daher bleiben, die Krisen, die den Kapitalismus von innen bröckeln lassen, zum Aufbau einer antikapitalistischen Perspektive zu nutzen. Dass eine derartige Krise durchaus eintreten kann, hat sich in jüngster Zeit am Beispiel Argentiniens gezeigt, wo an Stelle eines Runs zur Rettung der eigenen Ersparnisse auch ein Aufstand mit revolutionärer Ausrichtung denkbar gewesen wäre.

Revolution statt Überwachung!

AIHD, April 2002