Nach friedlicher Demo schwere Ausschreitungen

Wenig Probleme beim AZ- Demonstrationszug – aber in der Nacht zum Sonntag randalierten Vermummte und verletzten fünf Polizisten
Polizei- Sprecher Harald Kurzer stand die Erschütterung ins Gesicht geschrieben. “Das hat es in Heidelberg seit 30 Jahren nicht gegeben, dass Polizeikräfte bei Auseinandersetzungen von Radikalen an Leib und Leben gefährdet wurden“, sagte Kurzer gestern nach den Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag un der Altstadt. Und weiter: „Das hätten wir nach all den positiv verlaufenen Gesprächen im Vorfeld wirklich nicht mehr für möglich gehalten“.
Fünf verletzte Polizisten, zwei demolierte Polizeifahrzeuge, zwei eingeworfene Fenster- Fassaden in der Hauptstraße und der misslungene Versuch, einen Brandsatz ins Rathaus zu werfen: da ist die ernüchternde Bilanz der Geschehnisse in der Nacht zum Sonntag. Kurz nach Mitternacht zogen dabei an die 50 vermummte Personen innerhalb weniger Minuten eine Spur der Gewalt vom Marstall kommend durch die Hauptstraße und konnten danach wieder unerkannt im Marstall- Innenhof verschwinden. Mit diesem Randale- Zug pervertierten die Vermummten die Demonstration das Autonomen Zentrums, die am Nachmittag trotz einiger kritischer Situationen fast vollkommen friedlich verlaufen war. Und die Hoffnung auf neue Räumlichkeiten für das Autonome Zentrum ist nach dem unseligen nächtlichen Gewaltakt einer radikalen Minderheit von Demonstranten mit Sicherheit nicht größer geworden.
Dabei hatte es noch am Nachmittag so hoffnungsvoll ausgesehen nach dem alles in allem friedlichen Verlauf einer Demonstration, die um die 1000 Personen vom Bauhaus via Alte Eppelheimer Straße und Bergheimer Straße durch die Fußgängerzone zum Marktplatz führte. Allerdings hatte es gleich zum Anfang ein größeres Gerangel zwischen Demonstranten und Polizisten gegeben, nachdem der erste Block der Demonstranten sich mit einem Seil umgeben hatten. Dies, so war in der Genehmigung der Stadt für die Demonstration ausdrücklich festgelegt worden, war ebenso wenig zulässig wie eine Vermummung der demonstrierenden Personen. Polizei- Oberrat Hans Becker, der den Einsatz leitete, entschied sich dann jedoch, seine Politik der De- Eskalation weiter zu fahren, und nach einem intensiven Dialog mit AZ- Sprecher Michael C. konnte die Demo starten.
Zu einer kritischen Situation kam es eingangs der Fußgängerzone, als sich an der Spitze des Zuges mehrere Personen zu vermummen begannen. Die Polizei nahm nochmals Kontakt mit dem Veranstalter der Demonstration auf, und nach einem kurzen Gespräch wurden die Vermummungen weitgehend wieder abgelegt. Von da an ging es relativ zügig zum Marktplatz, wo eine Abschlusskundgebung stattfand.
 „Es war ein hartes Stück Arbeit“, so Polizei- Oberrat Hans Becker nach der offiziellen Beendigung der Demonstration nach 16 Uhr, „aber unsere Politik der De- Eskalation hat sich bewährt, und wir haben es geschafft, das Ganze friedlich über die Bühne zu bringen“. Und auch AZ- Sprecher Michael C. war die Erleichterung darüber anzumerken. „Ich bin sehr zufrieden mit dem friedlichen Verlauf und war überrascht über die hohe Teilnehmerzahl von fast 1000 Demonstranten“, sagte er.
Beide, sowohl die Polizei als auch der AZ- Sprecher, hatten sich damit allerdings viel zu früh gefreut am Samstag Nachmittag, wie sich zeigen sollte. Nach der Kundgebung am Marktplatz begab sich der Großteil der Demonstranten zum Marstall, wo eine Party stattfand. Diese ging bis nach Mitternacht. Vom Marstall aus stürmten dann gegen 0.30 Uhr, wie Polizei- Sprecher Kurzer schilderte, um die 50 vermummte Personen „in Schlägermanier“, so Kurzer, auf einen dort platzierten Polizeibus zu, in dem acht Beamte saßen, und warfen große Pflastersteine auf diesen Bus. Die Seitenscheiben wurden zertrümmert, und vier der Beamten zogen sich dabei Augen- beziehungsweise Schnittverletzungen zu. Sie mussten ambulant in der Klinik behandelt werden.
Wenige Minuten später wurde ein zweites Polizei- Einsatzfahrzeug in der Hauptstraße
in Höhe der Marstallstraße von an die 40 Vermummten ebenfalls mit Pflastersteinen beworfen. Hierbei zog sich ein Beamter eine Platzwunde am Kopf zu. Auch an diesem Bus gingen Scheiben zu Bruch.
Außerdem wurden die Fensterscheiben der Sparkassen- Filiale am Uniplatz mit Steinen zerstört. Am Marktplatz warfen Vermummte die Scheiben des McDonald- Restaurants ein. Auf den Eingangsbereich des Rathauses wurden ebenfalls Steine geworfen, wobei die Verbundglastür allerdings Stand hielt. Danach wurde ein Brandsatz, ein sogenannter „Molotowcocktail“, auf den Eingangsbereich des Rathauses geworfen, der jedoch erlosch und keinen Schaden anrichtete.
Die Werfer zogen sich anschließend, wie die Polizei weiter berichtet, in den Marstallhof zurück und tauchten in der Menge unter. In den Seitenstraßen rund um das Rathaus sowie um Innenhof des Marstalls stellte die Polizei zwischenzeitlich zahlreiche Pflastersteine sicher, die nach ihrer Vermutung dort als Wurfgeschosse deponiert worden waren. Festnahmen konnten keine erfolgen, da die Vermummten sofort die Flucht ergriffen hatten. Gegen 1.30 Uhr wurde die Veranstaltung im Marstall beendet, und die Teilnehmer zerstreuten sich in kleinen Gruppen.
Polizeisprecher Harald Kurzer sprach nach den Vorkommnissen von einer „neuen Dimension in der politischen Streitkultur“, mit der überhaupt nicht zu rechnen gewesen sei. Die Vorgänge seien um so erschütternder, als die Polizei ganz bewusst ihre Strategie der De-Eskalation weiter geführt hätte.
Die AZ- Sprecher Michael C. und Michael D. bestätigen gestern gegenüber unserer Zeitung um Wesentlichen den von der Polizei geschilderten Sachverhalt. Gleichzeitig sagten C. und D. allerdings, dass „diese Art Randale nicht unser Ding ist“. Das AZ habe sich mach Kräften um eine Friedliche Demonstration bemüht, und dies sei ja auch gelungen. Das Fest im Marstall sei nicht vom AZ organisiert worden, betonten die Sprecher. „Wir sind nicht auf Randale aus; das AZ will das nicht“, sagte Michael C. weiter „und das haben wir bisher auch mit unseren Aktionen unter Beweis gestellt“. Dass die Situation in Anbetracht der Art und Weise, wie in der Vergangenheit mit dem AZ umgegangen worden sei, eskalieren könne, davor hätten sie im Vorfeld mehrfach gewarnt, was aber leider immer nur als Drohung missverstanden worden sei. Im Übrigen habe das AZ mit seinen Aktionen nicht auf die Polizei Druck ausüben wollen, sondern auf die Stadtverwaltung und die Entscheidungsträger in der Stadt.

Peter Wiest, RNZ, 14.02.2000