Ein Promille des Umsatzes in Entschädigungsfonds
Forderung Heidelberger Organisationen an die Unternehmen

Die Heidelberger Initiative, die schon seit geraumer Zeit hiesige Unternehmen auffordert, sich an dem Entschädigungsfonds für die Zwangsarbeiter zu beteiligen, wird nicht müde, vor den Werkstoren für ihre Sache einzutreten. Als sie gestern vor der Print Media Academy der Heidelberger Druckmaschinen AG entsprechende Transparente entrollte, holte der Werkschutz allerdings die Polizei:
Der Platz vor dem Glasbau gehört dem Unternehmen. Im übrigen habe sich die Konzernmutter RWE bereits am Entschädigungsfonds beteiligt, hieß es. Man sei indirekt beteiligt. Weil die RWE aber Stillschweigen über die überwiesene Summe währt, fehlt den Heidelberger Organisationen der rechte Glauben daran. Beim Anteil der deutschen Industrie fehlen immer noch 1,4 Milliarden Mark, wogegen die Bundesregierung ihren Anteil von fünf Milliarden Mark überwiesen hat. Der Heidelberger Initiative gehören unter anderem der DGB, die PDS und die VVN/Bund der Antifaschisten an.
Anhand der Ordner im Stadtarchiv wissen sie, dass auch bei der Schnellpresse, der Vorgängerfirma der Druckmaschinen AG, Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Gleiches gilt auch für die Firmen Henkel-Teroson und ABB, die ebenfalls versichern, die „Mutter“ habe bereits bezahlt. Die Sprecher der Initiative, der PDS-Bundestagsabgeordnete Dr. Winfried Wolf, der DGB-Kreisvorsitzende Harry Siegert, der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN/ Bund der Antifaschisten, Professor Dr. Dieter Fehrentz, und Martin Hornung, Betriebsratsvorsitzender bei Haldex, appellieren weiterhin an die Firmen, ein Promille des Umsatzes einzuzahlen.
Bei Haldex entschloss sich die Geschäftsführung erst vor vier Wochen, sich am Fonds zu beteiligen, nachdem sie zuvor noch erklärte, Haldex sei nicht Nachfolger der Graubremse. Der Betriebsrat und Gewerkschafter konnten sie dennoch davon überzeugen, dass es dem Unternehmen gut zu Gesicht steht, jetzt ein Zeichen zu setzen. „Es hat sich gelohnt, hartnäckig zu bleiben“, sagte gestern Martin Hornung, denn andere Firmen wie Autz und Herrmann oder ein Walldorfer Unternehmen werden nachziehen.
Die Rhein-Neckar-Region ist insgesamt unterdurchschnittlich am Entschädigungsfonds engagiert. Während sich bundesweit 2,6 Prozent aller Unternehmen am Fonds beteiligen, machen im Rhein-Neckar-Raum nur ein Prozent mit 131 von knapp 13.000. „Sie halten es nicht für nötig“, nehmen Siegert, Fehrentz, Wolf und Hornung an. Das japanische Unternehmen Furukawa, indirekt Nachfolger von Fuchs-Waggon, wo 1942 sechs Ostarbeiter“ gehenkt wurden, wehrt sich zwar gegen ein Mahnmal für die sechs Gehenkten, will aber über eine Entschädigung mit sich reden lassen.

Rhein-Neckar-Zeitung, 31.01.2001
 

Zwangsarbeit in Heidelberg
27.000 Einzelfälle sind in den Ordnern des Stadtarchivs festgehalten

kib. Mehr als 35 laufende Regalmeter verwahrt das Stadtarchiv zum Thema Zwangsarbeiten Die Unterlagen bestehen aus Akten, aber vor allem aus nach Nationalität geordneten Karteikarten und Stehordnern, die persönliche Unterlagen enthalten. Rund 300 Ordner, so erklärte Oberbürgermeisterin Beate Weber, sind zwar nicht forschungsmäßig aufgearbeitet, das bedeute aber nicht, dass damit nicht schnelle Hilfe im Einzelfall geleistet werden könne. Rund 27.000 Einzelfalle sind in den Ordnern zur Zwangsarbeit enthalten.
Die Gliederung sei so detailliert, dass gegenüber Betroffenen ordnungsgemäß Auskunft erteilt werden könne. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archivs, so die Oberbürgermeisterin, würden ausgesprochen sensibel mit der Zwangsarbeitsproblematik umgehen. Rund 20 Anfragen im Monat werden an das Archiv gerichtet. „Wir helfen mit, dass die Menschen keine Zeit verlieren“, erläuterte Beate Weber.
Hintergrund ihrer Stellungnahme vor dem Gemeinderat war ein Antrag von Dr. Hannelis Schulte (Linke Liste/PDS), der aus der SPD und von den Grünen unterstützt wurde. Sie hätte gerne eine städtische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme-Stelle zur Aufarbeitung der Ordner eingerichtet gesehen, um dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte schnell und umfassend aufzuarbeiten.
Diesem Ansinnen konnte sich die Mehrheit des Gremiums nicht anschließen und stellte den Antrag zurück. Gleichzeitig wurde aber das Stadtarchiv beauftragt, mit dem Rhein-Neckar-Kreis und der Universität Verbindung aufzunehmen mit dem Ziel, ein gemeinsames Forschungsprojekt zu initiieren.
Das macht schon deshalb Sinn, weil die Unterlagen, die ursprünglich bei der Arbeitsverwaltung entstanden und dann über die Polizei und das Amt für öffentliche Ordnung in das Stadtarchiv gelangten, nicht nur die Stadt Heidelberg betreffen, sondern auch das Umland. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass sich zusätzlich Unterlagen zu den bei der Universität und ihren Einrichtungen beschäftigten Zwangsarbeitern im Universitätsarchiv befinden.
Nach grober Kalkulation wäre mindestens ein Kostenaufwand von rund 220000 Mark für eine zweijährige ABM-Stelle sowie rund 50 000 Mark für eine Publikation der Forschungsergebnisse anzusetzen.

Rhein-Neckar-Zeitung, 31.01.2001